Abu Hamid al-Ghazali gilt bis heute als einer der bedeutendsten religiösen Denker des Islams. Im Jahre 1095 verfasste er sein berühmtes Werk „Die Inkohärenz der Philosophen“, in dem er die Meinung vertritt, dass die Idee eines Universums ohne Anfang eine absurde Vorstellung ist. Das Universum muss einen Anfang haben und da nichts ohne Grund zu existieren beginnt, spricht dieses sehr stark für einen Schöpfergott, so al-Ghazali. Sein Argument lautet wie folgt:

„Jedes Sache, die beginnt, hat einen Grund für ihr Beginnen. Da auch die Welt einmal angefangen hat zu beginnen, besteht auch hierfür ein Grund.“

In eigenen Worten: Alles, was existiert, hat einen Grund dafür, warum es existiert – entweder, weil es notwendigerweise aus sich selbst heraus existiert oder aufgrund eines externen Grundes. Das klingt vielleicht etwas kompliziert, ich gebe daher mal ein Beispiel dafür, wenn ich sage: „Etwas existiert notwendigerweise aus sich selbst heraus“ Hier kommt es: Mathematische Objekte existieren aus sich selbst heraus – Zahlen etwa. Zahlen haben keinen Grund für ihre Existenz, sie existieren zwangsläufig aus sich selbst heraus. Heißt: Es ist unmöglich für sie, nicht zu existieren. Andere Dinge hingegen haben externe Gründe für ihre Existenz. Bäume, Stühle, Smartphones usw. – alle haben externe Gründe dafür, weshalb es sie gibt. Diese Dinge existieren nicht notwendigerweise aus selbst heraus, wie es etwa bei Zahlen der Fall ist.

Da es nun keinen zwingenden Grund dafür gibt, weshalb das Universum – im Gegensatz zu Zahlen – notwendigerweise aus sich selbst heraus existieren muss, heißt das, dass das Universum einen externen Grund hat, zu existieren. Aus diesen beiden Prämissen folgt, dass das Universum einen Grund hat. Dieser Gedankengang ist recht einfach: Wenn die beiden ersten Annahmen stimmen, folgert daraus logisch die Stimmigkeit der Schlussfolgerung. Die große Frage ist also: Ist es glaubhafter, dass diese Aussagen eher richtig oder eher falsch sind? Nun, ich bin davon überzeugt, dass beide Prämissen richtig sind. Das möchte ich im Folgenden einmal näher erläutern.

Prämisse 1: Alles, was anfängt zu existieren, hat einen Grund

Ich denke, dass dieser Gedanke jedem vernünftigen Menschen durchaus einleuchtend erscheinen dürfte. Denn der Annahme, dass das Nichts dazu in der Lage ist, etwas ins Dasein zu bringen, ist mehr als absurd. Aber bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Als überzeugter Christ habe ich ja gar keine Bauchschmerzen mit der Sicht, dass etwas aus dem Nichts entstehen kann (Stichwort: Urknall). Mein gesunder Menschenverstand schlägt aber dann Alarm, wenn ich annehmen soll, dass eine Sache durch Nichts ins Dasein kam. Und so wäre es ja, wenn es Gott nicht gibt – dann ist das Universum durch Nichts ins Dasein genommen. Dann sind Raum, Zeit und Materie durch Nichts entstanden. Das muss man sich ja einmal auf der Zunge zergehen lassen: Etwas soll durch Nichts entstanden sein – ein nicht nur unvorstellbarer, sondern ganz & gar unmöglicher Gedanke.

Wer sagt, dass etwas grundlos bzw. durch Nichts entstehen kann, läuft – meiner Ansicht nach – stark Gefahr, intellektuell unredlich zu werden. Und mit „Nichts“ meine ich ja noch nicht einmal leeren Raum. Nein, mit Nichts meine ich wirklich die völlige Abwesenheit von allem, sogar Raum selbst. Aber: Das ist schlichtweg unmöglich. Es erscheint also sehr unsinnig zu sagen: „Das Universum, sprich Raum, Zeit und Materie kamen vor vielen Milliarden Jahren ins Dasein – die Ursache: durch Nichts!“ Quentin Smith, Professor an der Western Michigan University, sagte mal, dass hier die rationalste Erklärung sei: Das Universum käme

„from nothing, by nothing, and for nothing“.

Und Smith hat Recht: Wenn Gott nicht existiert, dann ist das Universum wirklich durch Nichts entstanden. Aber kommt das nur mir überaus unglaubwürdig vor? Nein, bleiben wir vernünftig: Das geht nun einmal nicht. Das ist meiner Ansicht nach sogar noch schwieriger zu glauben, als zumindest mal die Möglichkeit einzuräumen, dass Gott doch existiert. Ist es „Nichts“ möglich, irgend etwas zu tun? Sie kennen sicher einen Satz wie: „Nichts konnte mich aufhalten.“ Heißt das also, dass Sie letztlich doch etwas aufhalten konnte – nämlich Nichts? Nein, das heißt es natürlich nicht. Es wäre sehr falsch, diesem kleinen Wort mehr zu zusprechen, als es in der Lage ist zu tun. Denn Nichts kann nur eines tun: nichts. Stephen Hawking, der derzeit wohl promintenteste Astrophysiker der Welt, schreibt:

Because there is a law such as gravity, the universe can and will create itself from nothing. Spontaneous creation is the reason there is something rather than nothing, why the universe exists, why we exist.

John Lennox, Oxford-Professor der Mathematik schreibt als Replik zu Hawkins das Folgende:

Physical laws can never provide a complete explanation of the universe. Laws themselves do not create anything, they are merely a description of what happens under certain conditions. What Hawking appears to have done is to confuse law with agency.

Lennox liegt richtig: Ein Gesetz wie die Schwerkraft kann nichts erschaffen, es beschreibt lediglich, was unter bestimmten Umständen geschieht. Und die wichtigste Frage bleibt ja: Welchen Ursprung haben die physikalischen Gesetze wie etwa das der Schwerkraft? In der allgemeinen Relativitätstheorie wird die Gravitation z.B. als eine Krümmung der Raumzeit gedeutet. Demnach müssen Raum und Zeit bereits existieren, damit Schwerkraft existieren kann. Woher kommen aber Raum und Zeit? Und auch andere Modelle wie die Stringtheorie und Loop-Quantengravitation liefern uns keine Erklärungen, in denen der Ursprung Schwerkraft nicht auf etwas hinter der Schwerkraft verschoben wird.

Außerdem: Wenn etwas durch Nichts entstehen könnte, dann ist es unerklärlich, warum nicht auch andere Dinge einfach so entstehen. Warum entstehen nicht zum Beispiel Bäume, Flüsse, Planeten etc. einfach so? Warum ist es nur das Universum, das durch Nichts entstanden ist, aber sonst seitdem nichts mehr? „Moment“, sagen einige nun vielleicht, „dass Prämisse ist ja auch wahr für alles im Universum, aber scheinbar nicht für das Universum selbst.“ Bei allem Respekt vor dieser Meinung muss ich aber anmerken, dass man die Kausalität „Alles, was anfängt, zu existieren, hat einen Grund“ sich nicht einfach so zu Recht biegen kann, wie man es möchte. Dieses Prinzip ist ja nicht nur ein Naturgesetz, sondern ein metaphysisches Prinzip, das für alles Existierende, für alle Realität gilt.

„Moment“, haken manche weiter nach, „wenn alles eine Ursache hat, welche Ursache hat dann Gott selbst?“ So gut ich diese Frage auch nachvollziehen kann, so lautet hier meine Gegenfrage: „Wenn gläubige Menschen Gott beschreiben, dann meinen sie damit ein immaterielles Wesen, das nicht an Raum, Zeit und Materie gebunden ist – Gott existiert außerhalb davon. Aber kann jemand, der außerhalb von Zeit ist – also zeitlos ist – irgendwann mal angefangen haben, zu existieren? Denken Sie da gerne einmal in Ruhe drüber nach. Aber letztlich lautet die Antwort: „Nein, das kann es nicht.“ Warum? Weil ich bei einem Satz wie „Gott hat  angefangen zu existieren“, die Komponente „Zeit“ mitdenke. Aber da Gott schon vor Entstehung der Zeit war, kann es keinen Zeitpunkt gegeben haben, an der er ins Dasein kam.

Ich habe aber vollstes Verständnis dafür, wenn Ihnen das seltsam ist. Und ich kann ihre Skepsis auch deshalb ganz gut nachvollziehen, da wohl niemand von uns dazu in der Lage ist, den Faktor „Zeit“ aus seinem Denken herauszunehmen. Auch ich natürlich nicht. Ich kann einfach nicht zeitlos denken. Deswegen fordert uns der Gedanke ja auch so heraus, dass Gott ewig und zeitlos ist – nicht angefangen hat, zu existieren. So knifflig das für uns auch sein mag, bitte Sie einfach nur darum, diesen Gedanken zumindest mal für einen kurzen Augenblick zuzulassen.

Prämisse 2: Das Universum hat einst zu existieren begonnen

Zur Zeit al-Ghazals, sprich im 11./12. Jahrhundert, gab es noch keine wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, dass das Universum begonnen hat, zu existieren. al-Ghazal lieferte dennoch ein starkes philsophisches Argument, warum es einen bestimmten Zeitpunkt gegeben haben muss, an dem das Universum zu existieren begonnen hat. Sein Argument lautet wie folgt:

Wenn das Universum niemals begonnen hat, zu existieren, so ist die Anzahl an Ereignissen, die in der Vergangenheit liegen, unendlich.

Dieser Gedanke ist nun gar nicht so einfach, wie er vielleicht aussieht, daher noch einmal: Wenn das Universum niemals zu existieren begonnen hat, dann ist die Anzahl an vergangenen Ereignissen unendlich. Aber das, sagt al-Ghazal weiter, ist unmöglich. Es ist nicht praktisch möglich, dass die Anzahl an Ereignissen, die in der Vergangenheit liegen, unendlich ist. Warum nicht? Weil eine unendliche Anzahl an Dingen in der Wirklichkeit nicht existiert. Unendlichkeit gibt es nur in der Theorie. al-Ghazal beweist diese Unmöglichkeit, in dem er aufzeigt, wie es sein würde, wenn dies doch sein würde – und welche absurde Konsequenz sich daraus ergibt.

Ein Beispiel zur Illustration: Stellen Sie vor, Sie hätten eine unendliche Anzahl an Münzen. 1,2,3… bis unendlich. Stellen Sie sich nun vor, ich würde Ihnen alle ungeraden Münzen wegnehmen. Wie viele Münzen hätten Sie jetzt noch? Natürlich immer noch unendlich viele, nämlich alle gerade Münzen – und die sind ja auch in einer unendlichen Anzahl vorhanden. Wir sehen: Unendlich minus unendlich ist scheinbar unendlich.

Aber stellen Sie sich nun einmal vor, dass ich Ihnen alle Münzen wegnehme, die größer sind als 5. Wie viele Münzen hätten Sie jetzt noch? Die Antwort lautet: 5. Wir sehen: Unendlich minus unendlich ist 5. In beiden Fällen habe ich Ihnen eine gleiche Anzahl an Münzen von einer gleichen Anzahl an Münzen weggenommen. Letztendlich kommen wir aber zu zwei widersprüchlichen Lösungen. Nun ist es in der Tat so, dass Sie mit der Formel „unendlich minus unendlich“ wirkliche jedes Ergebnis erhalten können – von 0 bis unendlich. Aber das ist alles nur in der Theorie möglich. Das ist nur ein Beispiel davon, zu zeigen, dass Unendlichkeit nur eine Idee in unseren Köpfen ist. Unendlichkeit existiert nicht in der Realität. David Hilbert, einer der bedeutendsten Mathematiker der Neuzeit, drückt es wie folgt aus:

„Das Unendliche ist nirgends in der Wirklichkeit zu finden. Es existiert weder der Natur, noch ist es eine legitime Grundlage rationalen Denkens. Die einzige Rolle, die für das Unendliche bleibt, ist die einer Idee.“

Aber das bedeutet, dass Ereignisse der Vergangenheit – da sie ja keine Ideen sind, sondern reale Geschehnisse – in endlicher Anzahl vorliegen. Die Anzahl vergangener Ereignisse kann nicht ewig zurückgehen. Da also keine unendliche Vergangenheit existieren kann, muss das Universum zu irgendeinem Zeitpunkt angefangen haben, zu existieren. Und auch wichtig: Da das Konzept der Unendlichkeit absurd und nicht in der Wirklichkeit möglich ist, heißt das, dass es auch keine unendliche Anzahl an Ursachen geben kann. Es muss also irgendeinen „ersten Grund“ für all das geben, was angefangen hat, zu existieren.

Ein wissenschaftlicher Beweis 

Was al-Ghazali einst noch fehlte, ist uns heute erfreulicherweise durch unseren technischen Fortschritt zugänglich. Entdeckungen in der Astronomie und der Astrophysik geben uns heutzutage einen sehr starken Beweis dafür, dass das Universum nicht ewig ist, sondern einen fixen Zeitpunkt kennt, an dem es begonnen hat, zu existieren – zu einem Zeitpunkt, der etwa ca. 13,75 Mrd. Jahre zurück liegt und den wir allgemein als den „Urknall“ kennen. Und das Urknall- oder Standardmodell ist auch heute noch die wissenschaftlich anerkannte kosmologische Theorie zur Entstehung des Universums.

Viele Alternativen zur Urknalltheorie wurden bis dato vorgeschlagen, u.a. die Steady-State-Theory, Oscillating Models, Vacuum Fluctuation Models, das Chaotic Inflationary Model, Quantum Gravity Models, Ekpyrotic Models etc (vgl. J. Lennox, Hat die Wissenschaft Gott begraben?: Eine kritische Analyse moderner Denkvoraussetzungen, 2011). Aber jedes Mal, wenn diese Theorien und Modelle daran scheiterten, einen absoluten Anfang des Universum zu verneinen, bekräftigte dies die Aussage des Urknallmodells umso mehr. Es ist also unbestritten, dass es viele Alternativerklärungen für den Beginn des Universums gibt. Alan Guth, Professor für Physik am MIT, fasst jedoch zusammen:

Die Urknalltheorie hat in der Wissenschaft einen großen Rückhalt. Jeder, die sie nicht akzeptiert, wird von der Wissenschaftsgemeinschaft als verrückt angesehen.

Was den Urknall so besonders macht, ist die Tatsache, dass er den Ursprung des Universum aus dem Nichts beschreibt. Und wie gesagt: Damit habe ich keinerlei Probleme. Raum, Zeit, Energie, Materie – alles kam erst mit dem Urknall. Der Physiker Paul Davies liegt daher ganz richtig, wenn er schreibt, dass alles Physikalische im wahrsten Sinne des Wortes aus dem absoluten Nichts kam. Dem stimmte ich zweifelsfrei zu: Das Universum kam aus dem Nichts. Der Oxfordprofessor Anthony Kenny schreibt hierzu:

A proponent of the Big Bang Theory, at least if he is an atheist, must believe that the matter of the universe came from nothing and by nothing.

Wie gesagt: Ich finde, dass unser gesunder Menschenverstand allerspätestens dann Alarm schlagen sollte, wenn wir zu denken versuchen, dass Etwas durch Nichts entstanden ist. Vielleicht gehen ja auch Sie davon aus – und ich sage nun auch gar nicht, dass man so nicht denken aber. Aber bei allem Respekt: Wie soll das gehen? Wie soll unser Universum durch Nichts gekommen sein? Denken Sie wirklich, dass das möglich ist? Denken Sie, dass Dinge einfach so durch Nichts entstehen können? Diesen Gedanken empfinde ich als mehr als gewagt. Ich denke: Etwas kann nicht durch Nichts entstanden sein. Es muss immer einen Grund dafür geben, warum Dinge wie unser Universum aus dem Nichts ins Dasein gekommen sind.

Und da der ursprüngliche Grund für Zeit und Raum logischerweise hinter Raum und Zeit liegen muss – also nichts Physikalisches oder Materielles sein kann – liegt es nahe, dass dieser erste Grund für Dinge wie Zeit, Raum und Materie etwas Zeitloses, Raumloses und Immaterielles sein muss, das dazu in der Lage ist, solche Dinge aus dem Nichts ins Dasein zu bringen. Ich sehe hierfür nur zwei logische Möglichkeiten: Zum einen kann es sich um ein abstraktes Objekt, wie eine Zahl, handeln. Zum anderen ein zeitloses, raumloses und immaterielles Wesen. Da aber abstrakte Zahlen nichts verursachen können, liegt es nahe und ist vernünftig anzunehmen, dass die Ursache des Universums von einem transzendenten Wesen geschaffen wurde.

Schlussfolgerung

Denken Sie gerne einmal für sich über die vorgebrachten Gedanken nach. Wenn Sie den Annahmen zustimmen, dass alles, was anfängt zu existieren, einen Grund haben muss und das unser Universum einst angefangen hat, zu existieren – dann bedeutet das: Auch unser Universum hat einen Grund. Und da auch erst mit der Entstehung unseres Universums Raum, Zeit und Materie angefangen haben zu existieren, heißt das, dass etwas außerhalb von Raum, Zeit und Materie dieses Dinge geschaffen haben muss.

Während es also ein sehr unvernünftiger Gedanken ist, dass das Universum einfach so durch Nichts entstanden sein soll, ist es hingegen eine sehr vernünftige – weil logische – Erklärung, dass der Grund für die Entstehung des Universum jemand ist, der jenseits von Zeit, Raum und Materie existiert. Das ist meiner Ansicht nach sogar die beste Erklärung – hätten Sie eine bessere?