Ich denke, also bin ich hier falsch? Über Glauben, Denken & Skepsis
“Ich denke, also bin ich – hier falsch?” Hier, damit meine ich: beim Glauben. Und die Sorge ist ja gar nicht mal so unberechtigt, vielleicht kann ich sie deshalb auch ganz gut nachvollziehen. Meine Meinung lautet: Auch Christen sollten niemals den Fehler begehen und ihren gesunden Menschenverstand über Bord werfen. “Aber”, fragen nun manche, “tun sie nicht genau das?!
Kann man den wirklich ernsthaft an Gott glauben und trotzdem mit beiden Beinen auf den Boden bleiben?” Und sicher, manche Christen machen diesen Eindruck auf uns – den Eindruck, den Verstand auf “Standby” geschaltet zu haben, die Vernunft durch Glaube ersetzt zu haben. So nach dem Motto: “Diese Dinge hier, die können wir nun mal nicht begründen, die müssen wir einfach glauben.”
Diese zu hinterfragende Auffassung ist natürlich ein Totschlagargument, wie sie im Buche steht…Oder es begegnen uns auch immer wieder Kandidaten, die uns sagen möchten: “Du musst das glauben, ein Mensch mit Werten glaubt das.” Das Hauptproblem hierbei mag sein, dass sich die tiefen existenziellen Überzeugungen nicht einfach per Knopfdruck kontrollieren lassen.
Durch moralischen Druck zum Glauben aufzufordern, dass sollte und wird auch glücklicherweise niemals klappen.Wenn es nun beim Glauben um einen Glauben ginge, der die Vernunft ersetzen soll oder einen Glauben, der doch irgendwie ein “Muss” zu sein hat – ein Glaube ohne jede Begründung also -, dann würde ich kaum für solch etwas Werbung machen wollen…
Nun bin ich aber davon zutiefst überzeugt, dass es beim christlichen Glauben aber gerade nicht um solche Glaubensformen geht, ich glaube vielmehr: Es gibt sehr wohl sehr gute Gründe dafür, dass da etwas am “Konzept des christlichen Glaubens” dran sein könnte, das Glauben eben kein blindes, sondern ein sehendes Vertrauen ist. Ich erwarte nun aber nicht, dass wer meine Ansichten teilt, nur weil ich sie hier niederschreibe, aber das ist auch gar nicht meine Schreibmotivation.
Die liegt vielmehr im Aufbringen der Frage begründet: “Könnte da vielleicht doch etwas dran sein, am Glauben?” Aus diesem Grund verstehen sich meine Zeilen hier auch als Denkangebote, auf die man sich einlassen kann oder aber auch nicht. Sie als Leser haben ja auch jederzeit die Möglichkeit, sich aus meinen Gedanken auszuklinken, ich biete sie Ihnen wie gesagt auch nur als Gesprächsangebot an.
Ein erstens Zwischenfazit
Es gibt zweifelsfrei kritische Anfragen an den christlichen Glauben, die gut sind – sehr gut sogar. Eine davon lautet: „Gott gibt es nicht, weil es keine Beweise für seine Existenz gibt.“ Ich will nun gar nicht sagen, dass man so nicht denken darf. Ich glaube nur, dass hier ein Gedanke übersehen wurde, nämlich: Die Wirklichkeit einer Sache hängt ja nicht zwangsläufig von deren Beweisbarkeit ab. Warum sollte etwas nicht existieren, nur weil man es nicht beweisen kann?
Sicher, so denken wir Teilnehmer des 21. Jahrhunderts gerne, aber stimmt es wirklich? Ein Blick in die Geschichte verrät es uns. Denken Sie zB an die radioaktive Strahlung: Die ließ sich vor 200 Jahren weder beweisen, noch messen. Aber heißt das, dass es radioaktive Strahlung vor 200 Jahren und davor deshalb nicht gab? Natürlich gab es sie. Weil Wirklichkeit eben unabhängig von empirischer Beweisbarkeit ist. Ich will damit nun nicht sagen, dass Gott existieren muss, weil er nicht beweisbar ist. Aber es ist genauso verkehrt zu sagen: Weil Gott nicht beweisbar ist, deshalb kann es ihn nicht geben. Die Nicht-Beweisbarkeit Gottes ist kein gutes Argument gegen die Existenz Gottes.
„Moment!“, denken nun manche, „Wie soll man denn Gott bitte beweisen, wenn es den gar nicht gibt? Nicht-Existenz kann man nun einmal nicht beweisen.” Ich kann diesen Einwand zwar ganz gut nachvollziehen, aber so ganz richtig ist er ja nicht. Denn natürlich ist Nicht-Existenz beweisbar. Das lernt man bereits in den ersten Semestern Philosophie: „Die Nicht-Existenz von X ist dann bewiesen, wenn aus der Existenz von X ein Widerspruch folgt.“ Suchen Sie sich ein passendes Beispiel aus.
Ich führe das alles so ausführlich aus, um uns eine Sache vor Augen zu führen: Es gibt natürlich keine wissenschaftlichen Beweise für Gott, aber die wissenschaftlichen Einwände, die immer wieder gerne gegen Gott angeführt werden, sind im Grunde gar keine wirklichen Beweise gegen Gott. Ich habe in meinen vielen Gesprächen zumindest noch nie einen zwingenden Beweis gegen die Existenz Gottes gehört – allenfalls gegen ein bestimmtes Gottesbild (siehe auch hier) Aber das sind ja zwei ganz unterschiedliche Paar Schuhe…. Nehmen wir hier meinetwegen die Evolutionstheorie:
Was sagt die über die Existenz Gottes aus? Nichts. Diese Theorie will bloß beschreiben, wie sich das Leben auf der Erde entwickelt hat. Und was sagt das über Gott? Nichts. Es könnte ja sogar einen Gott geben, der dahinter steht und das Ganze „anschiebt“. Oder es könnte ein Gott sein, der einfach zuschaut – wie bei einer Art Experiment. Der sich sagt: „Lassen wir das Ganze sich mal entwickeln und schauen wir zu.“ Ich will nun nicht sagen, dass an diesen Gott glaube, verstehen Sie mich richtig. Aber es wäre zumindest denkmöglich. Gott ist trotz Evolutionstheorie möglich, sie ist daher kein gutes Argument gegen die Existenz Gottes.
Ein zweites Zwischenfazit
Machen wir an dieser Stelle ein weiteres Zwischenfazit. Selbst dann, wenn wir der Wissenschaft den hohen Respekt zollen, den sie zweifelsfrei verdient hat, sollten wir ganz unaufgeregt zugeben: Es gibt keine Beweise gegen die Existenz Gottes. Aber nicht, dass sie mich falsch verstehen: Natürlich gibt es auch keinerlei Beweise für seine Existenz. Das wollte ich auch zu keinem Zeitpunkt gesagt haben. Nein, Gott ist weder beweisbar noch widerlegbar. Trotzdem stehen wir vor einem Dilemma, denn eine dieser beiden Aussagen muss stimmen: Entweder gibt es Gott oder es gibt ihn nicht. Es gibt kein „dazwischen“.
Diese Erkenntnis ist für viele Menschen verständlicherweise ein sehr unbefriedigendes Ergebnis. Gerade weil es so einige Probleme und Herausforderungen mit sich bringt: Entscheide ich mich dafür, Gott links liegen zu lassen, bleibt stets das Risiko, dass diese Entscheidung eine falsche und möglicherweise sogar folgenschwere Entscheidung war. Entscheide ich mich dafür, Gott doch zumindest einmal probeweise anzunehmen, stehe ich vor der nicht einfachen Aufgabe zu prüfen, welcher Weg zu Gott der glaubwürdigste ist.
Viele entscheiden sich heutzutage aber trotz der Möglichkeit, eine Fehlentscheidung zu treffen, dazu, die Frage nach Gott einfach nicht mehr aufkommen zu lassen oder sie hartnäckig abzublocken, wenn sie gestellt wird. Und nicht wenige sagen von ihnen: „Naja, ich kann es auch einfach nicht wissen, wie das mit Gott ist.“ Und vielleicht überrascht es Sie an dieser Stelle, aber ich finde diese Aussage absolut richtig. Als Christ würde ich sogar sagen:
„Ich kann von mir aus nichts über Gott sagen.“
Wie sollte ich auch? Ich stelle mir das immer wie bei einem Arztbesuch vor: Ich sitze da so im Wartezimmer, warte bis ich endlich aufgerufen werde, sitze schließlich vor meiner Ärztin… und schweige. So gut sie auch sein mag, sie wird mir nicht helfen können, nichts über mich aussagen können, sofern ich ihr nichts über mich erzähle. Sie könnte vielleicht spekulieren, was mir wohl fehlen mag (in diesem Fall könnte sie vermuten, dass ich ein Problem mit den Stimmbändern habe), aber etwas wirklich Verlässliches kann sie von sich aus nicht über mich sagen. Im Grunde haben Christen das gleiche Problem, wie es meine Ärztin dann hätte: Wir Christen können nichts von uns aus über Gott sagen, das ist schlichtweg unmöglich.
Es sei denn – und nun kommt der springende Punkt -, es sei denn, Gott sagt etwas über sich selbst. Wenn es ihn wirklich gibt, befindet er sich auf einer völlig anderen Wirklichkeitsebene als wir, also können wir nichts über ihn sagen, es sei denn, er teilt sich uns mit. Und hier treffen wir auf einen zentralen Aspekt des christlichen Glaubens: Christen glauben, Gott hat sich mitgeteilt, er hat gezeigt, wie er ist, seinen Charakter, sein Herz, sein Wesen. Nicht in einer Ideologie, auch nicht in einer Institution wie der Kirche und selbst nicht primär in einem Buch, sondern in erster Linie in einer Person: in der Person Jesus Christus. Und wenn man sich mal anschaut, wie Jesus im Neuen Testament beschrieben wird, was er also sagt und tut, dann werden wir hier mit einer Person konfrontiert, die einen absoluten steilen Anspruch erhebt, der da lautet:
„Wer mich sieht, sieht Gott. Ich stehe hier an Gottes Stelle.“
Das beansprucht Jesus an vielen verschiedenen Stellen.
Die Quellenfrage
„Moment“, sagen nun einige, „ist das, was wir heute in den Evangelien lesen, überhaupt historisch glaubwürdig? Sind die ganzen Berichte über Jesus nicht viel eher Mythen und Legenden?“ Ich kann diese Frage ganz gut nachvollziehen und es mag Sie vielleicht überraschen: In der gegenwärtigen historischen Leben-Jesu-Forschung wird kaum noch die Ansicht vertreten, dass es sich bei den Evangelien um historisch unzuverlässige Quellen handelt, im Gegenteil. Jens Schröter, Professor für Exegese und Theologie des Neuen Testaments und neutestamentliche Apokryphen an der HU Berlin, fasst den gegenwärtigen Stand der Leben-Jesu-Forschung recht gut zusammen, wenn er schreibt:
„Historische Jesusforschung kann den christlichen Glauben niemals begründen oder gar seine Richtigkeit beweisen. Sie kann jedoch zeigen, dass dieser Glaube auf dem Wirken und Geschick einer Person gründet, die sich, wenn auch nicht in jedem Detail, so doch in wichtigen Facetten auch heute noch nachzeichnen lassen. Damit leistet sie für die Verantwortung des christlichen Glaubens in der modernen Welt einen substantiellen Beitrag.“
Die historische Zuverlässigkeit der Lebensbeschreibungen Jesu unterstreicht auch Gerd Theißens universitäres Standardwerk “Der historische Jesus – Ein Lehrbuch“. Und auch seitens der textkritischen Geschichtsforschung bestehen nach aktuellem Stand der Forschung keinerlei Bedenken, was die Integrität der Überlieferungsgeschichte der neutestamentlichen Schriften angeht. Holger Strutwolf, Universitätsprofessor und Direktor des Instituts für neutestamentliche Textforschung in Münster, fasst zusammen:
Als Textkritiker ist zu sagen, dass die handschriftliche Überlieferung des neutestamentlichen Textes sehr treu und im Wesentlichen zuverlässig erfolgt ist, so dass man mit großer Zuversicht sagen kann, dass von textkritischer Seite keine Bedenken bestehen, dass der Text willentlich und grundsätzlich von späteren Tradenten verfälscht worden sein könnte.
Der historische Jesus
Ob es uns also gefällt oder nicht: Jesus ist eine historisch überaus zuverlässig belegte Person, die sich in vielen wichtigen Facetten auch heute noch nachzeichnen lässt. So finden wir etwa im historisch sehr gut bezeugten Johannes-Evangelium viele Passagen dazu, in denen dieser Jesus den Anspruch erhebt, selbst Gott zu sein. Ein paar Beispiele hierzu: In einem Gespräch mit Vertretern der religiösen Elite weist Jesus klar darauf hin: „Ich und der Gott, der Vater sind eins.“ Die Reaktion von einiger seiner Zuhörerschaft darauf ist überaus heftig, denn auf solch eine Behauptung stand zur damaligen Zeit, in der die Existenz des heiligen Gottes zu keiner Zeit bestritten wurde, nur eine Strafe: der Tod.
Seine Gegner erwiderten Jesus empört: „Wir steinigen dich nicht wegen einer guten Tat, sondern weil du ein Gotteslästerer bist. Du machst dich zu Gott, obwohl du nur ein Mensch bist.“ (Joh. 10,33) An anderer Stelle lesen wir von folgender Begebenheit, in der Jesus sagt:
„Abraham, euer Vater, sah dem Tag meines Kommens mit jubelnder Freude entgegen. Und er hat ihn erlebt und hat sich darüber gefreut.“ Die Juden entgegneten: „Du bist noch keine fünfzig Jahre alt und willst Abraham gesehen haben?“ Jesus gab ihnen zur Antwort: „Ich versichere euch: Bevor Abraham geboren wurde, bin ich.“ Da hoben sie Steine auf, um ihn zu steinigen. (Joh. 8,56ff.)
Auch hier beansprucht Jesus für sich, weit mehr als nur ein Mensch, nämlich Gott selbst zu sein. Er sagt, dass bereits der Stammvater Abraham, einer der engsten Vertrauten Gottes im Alten Testament, sich über seine, also Jesu Ankunft gefreut hat – und nicht nur das: Dass er sie sogar erlebt hat. Seine jüdischen Zuhörer können die Aussageabsicht hinter diesen Worten sehr rasch zuordnen: Auch hier sagt Jesus wieder von sich, dass er der ewige und heilige Gott selbst ist. Diejenigen, die diesem Anspruch zurückwiesen, bezichtigen Jesus daraufhin erneut der Gotteslästerung und lassen ihrer Empörung über die Ungeheuerlichkeit dieser Aussage freien Lauf.
Ein weiteres Beispiel: Zum Ende des Johannes-Evangeliums wird uns von einer Unterhaltung zwischen Jesus und seinem skeptischen Jünger Thomas berichtet. Thomas, der dem Gedanken der Auferstehung Jesu überaus misstrauisch gegenüberstand, fordert einen Beweis, dass der Mann, mit dem er da spricht, wirklich der ist, der vor wenigen Tagen zuvor am Kreuz von den Römern hingerichtet wurde. Jesus sagt daraufhin zu Thomas:
„Leg deinen Finger auf diese Stelle hier und sieh dir meine Hände an!«, forderte er ihn auf. »Reich deine Hand her und leg sie in meine Seite! Und sei nicht mehr ungläubig, sondern glaube!« Thomas sagte zu ihm: »Mein Herr und mein Gott!« Jesus erwiderte: »Jetzt, wo du mich gesehen hast, glaubst du. (Joh. 20,27ff.)
Das eigentliche Interessante an diesem Gespräch ist nun nicht das, dass Thomas Jesus als seinen Herrn und Gott bezeichnet, sondern dass Jesus keinen Einspruch dagegen erhebt. Jesus sagt ja nämlich nicht: „Nein, nein. Ehre, wem Ehre gebührt, aber Gott, das bin ich nicht.“ Jesus sagt hingegen, dass ihm Thomas jetzt, wo er ihn gesehen hat, wirklich glaubt. Und diesen Anspruch erhebt Jesus stets in einem bestimmten Kontext, nämlich in dem eines streng gläubigen Juden. Als solcher ist er zutiefst davon überzeugt, dass Gott ewig, heilig und Ehrfurcht gebietend ist, und dass man, wenn überhaupt, nur sehr vorsichtig von ihm sprechen darf. Der Anspruch Jesu, einem gläubigen Juden, war daher weitaus mehr als nur ein starkes Stück.
Darüber hinaus wird Jesu Gottesanspruch nicht nur in dem deutlich, was er sagt, sondern vor allem auch durch die Dinge, die er behauptet, tun zu können. Denn Jesus sagt zu wildfremden Menschen: „Deine Sünden sind dir vergeben.” Und nach Auffassung der hebräischen Bibel ist auch solch eine Aussage schlichtweg Gotteslästerung. Man wusste zur damaligen Zeit ganz genau: Nur einer ist in der Lage, einem Menschen seine Sünden zu vergeben, nämlich nur Gott selbst. Sündenvergebung, dessen war man sich bewusst, konnte niemals von Mensch zu Mensch geschehen.
Sich entschuldigen waren eine Sache, Sündenvergebung aber eine ganz andere – und die war absolute „Chefsache“. Wenn Jesus also behauptet, einem Menschen seine Sünden vergeben zu können, konnte diese Aussage gar nicht anders verstanden werden, als dass Jesus behauptet, Gott selbst zu sein. Und das löste bei einigen natürlich scharfe Proteste aus. Das wird etwa an einer Stelle recht deutlich, in der ein Gelähmter zu Jesus gebracht wird:
„Als Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu dem Gelähmten: »Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!« Einige Schriftgelehrte, die dort saßen, lehnten sich innerlich dagegen auf. »Wie kann dieser Mensch es wagen, so etwas zu sagen?«, dachten sie. »Das ist ja Gotteslästerung! Niemand kann Sünden vergeben außer Gott.« (Markus, 2,5ff.)
Indem Jesus für sich beanspruchte, Sünden vergeben zu können, unterstrich und betonte er damit seinen Gottesanspruch. Das war Juden der damaligen Zeit sofort klar, die Reaktionen der religiösen Elite seinerzeit ist also wenig verwunderlich. Und Jesu Anspruch, der menschgewordene Gott selbst zu sein, war es letztendlich ja auch, weswegen er zum Tod am Kreuz verurteilt und hingerichtet wurde. Nicht wegen sozial-revolutionärer oder rebellischer Gedanken wurde Jesus zum Kreuzestod verurteilt, sondern wegen Gotteslästerung – wegen seiner niemals abreißenden Behauptung, dass er und Gott ein und derselbe sind.
Vater vs. Sohn
„Aber“, sagen nun manche, „sagt Jesus nicht, dass er ‚Gottes Sohn‘ sei?“ Wer diese Frage stellt, stellt eine gute und sehr berechtigte Frage. Und es stimmt ja: In den Evangelien beschreibt sich Jesus ja wirklich so. Ich kann es daher ganz gut nachvollziehen, wenn wer Probleme mit der Sicht hat, dass Jesus selbst Gott sein soll – gerade weil er seine Sohnschaft immer wieder betont. Aber Jesus sagt ja nicht nur: „Ich bin Gottes Sohn“, sondern auch: „Ich und der Vater sind eins.“ Und das ist ja sehr wichtig – so wichtig, dass wir es nicht ignorieren dürfen. Zu Beginn des Johannes-Evangeliums lesen wir etwa: „Niemand hat Gott je gesehen. Der einzige Sohn hat ihn uns offenbart, er, der selbst Gott ist.“ Wir werden also insofern herausgefordert, als Jesus zwar zweifelsohne Gottes Sohn, aber – und das ist der springende Punkt – genau deshalb Gott selbst ist. C. S. Lewis schreibt:
Was Gott zeugt, ist Gott; wie Mensch ist, was der Mensch zeugt. Was Gott erschafft, ist nicht Gott, wie das von Menschenhand Geschaffene nicht Mensch ist.
Mit dem Verweis darauf, dass er Gottes Sohn ist, unterscheidet Jesus also gerade nicht zwischen Gott und ihm, sondern weist auf die Wesensgleichheit hin: „Ich, der Sohn, und Gott, der Vater, sind gleich.“ Wie Lewis eben sagt: „Was Gott zeugt, ist Gott“. Das fordert uns heute sicher heraus, aber so ist Jesu Aussage (gerade im soziokulturellen Kontext der damaligen Zeit) zu verstehen. Wenn Jesus sich als Sohn Gottes beschreibt, meint er, dass er Gottes Ebenbild ist – wer ihn sieht, sieht Gott, wer Jesus kennt, kennt Gott. Es ist also wörtlich zu verstehen, wenn es in 1. Joh 5 heißt: „Gott ist Liebe“ – und Liebe braucht ein Gegenüber, das geliebt werden kann.
Gott ist in sich liebevolle Beziehung – vom Vater zum Sohn zum Geist und zurück… Es ist aber völlig in Ordnung, wenn Ihnen das alles etwas „abstrakt“ vorkommt. Und ich bin mir durchaus bewusst, dass dieses Thema noch weitere gute Fragen zulässt. Aber letztlich bleibt der Punkt, den ich Ihnen aufzeigen wollte: Wenn Jesus seine Sohnschaft Gottes betont, unterstreicht er damit den Punkt, dass er Gott ist.
Was fangen wir mit Jesus an?
So einfach, was viele populäre Veröffentlichungen über Jesus sagen, nämlich “Jesus war ein großer ethischer Lehrer und ein vorbildlicher Mensch, keine Frage. Aber die Sache mit seinem Anspruch, der „heruntergekommene“ Gott selbst zu sein, die lassen wir einmal beiseite”, so einfach macht es uns Jesus nicht, wenn er sowohl durch sein Reden als auch Handeln einen so enormen Anspruch erhebt. Wenn er beispielsweise sagt: „Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf der Erde.“ Oder: „Jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben.“ Oder auch: „Ich bin der Weg, ich bin die Wahrheit, und ich bin das Leben. Zu Gott, dem Vater kommt man nur durch mich.“
Wir sehen: Es sind gewaltige Ansprüche, die Jesus da für sich erhebt. Und vergessen wir nicht: Gerade der breite Mainstream historischer Forschung lässt uns hier wenig Spielraum – stufen doch die meisten Textforscher (gläubige wie nicht-gläubige) die Evangelien als historisch zuverlässige Dokumente ein. Und wenn man sich nun anschaut, was Jesus sagte und tat, dann ist er entweder viel mehr als ein vorbildlicher Mensch oder aber viel weniger als das. Denn:
- Entweder war Jesus ein Lügner – und zwar genau dann, wenn es nicht stimmt, was er sagt und er sich darüber im Klaren ist, dass es nicht stimmt.
- Oder Jesus war ein Verrückter – und zwar genau dann, wenn es nicht stimmt, was er sagt und er auch nicht weiß, dass es nicht stimmt.
- Oder aber: Es stimmt, was Jesus von sich behauptet, dass er wirklich Gott selbst ist.
Entweder hat Jesus die Menschen seinerzeit bewusst getäuscht, so wäre das ein wenig vorbildliches Verhalten, genauso wenig wie, wenn seine Aussagen nicht korrekt sind und ihm genau das nicht bewusst ist, dann haben wir es bei Jesus mit einem religiösen Neurotiker zu tun. Oder aber: Es stimmt, was er über sich sagt. Dann stimmt auch alles, was er über Gott sagt. Und dann wird die Frage nach Gott und nach Gründen für den Glauben genau an dieser Stelle zur Vertrauensfrage. Was mache ich also mit Jesus?
Ein abschließender Vorschlag
Mein Vorschlag an dieser Stelle ist einfach mal ins Neue Testament hinzuschauen, also in den hinteren Teil der Bibel. Am besten in einer texttreuen & verständlichen Übersetzung, zum Beispiel die NGÜ. Dort finden sich ja die Lebensbeschreibungen von Jesus, von denen das Markus-Evangelium die kürzeste ist. Zudem ist sie auch zugleich die älteste Lebensbeschreibung. Und ich erwarte auch gar nicht, dass man das alles sofort schluckt, was einem dort als Inhalt angeboten wird. Es ist vollkommen in Ordnung, wenn Sie zB den Wundergeschichten skeptisch gegenüberstehen. Aber um die braucht es ja auch gar nicht zu gehen.
Im Kern geht es ja um den Charakter Jesu und um die Frage: „Macht dieser Jesus den Eindruck, ein Lügner oder Verrückter zu sein? Oder macht er den Eindruck, dass er weiß, wovon er spricht?“ Diese drei Möglichkeiten: Er hat andere getäuscht, er hat sich getäuscht oder er hat Recht. Und wenn wir vor dieser Alternative stehen, dann geht eines eben nicht – dass wir nämlich sagen: „Jesus: vorbildlicher Mann, ethisches Vorbild. Aber dieser ganze dogmatische Ballast mit „Sohn Gottes“, „für unsere Schuld gestorben“, den lassen wir mal weg.“ Aber genau das lassen die Lebensbeschreibungen Jesu eben nicht zu. Entweder ist er viel weniger als ein guter Lehrer, nämlich ein mieser Betrüger oder ein Geistesgestörter. Oder er ist viel mehr als ein gutes Vorbild, nämlich wirklich Gott selbst.
Ich kann durchaus verstehen, wenn das ungewohnt ist, so zu denken. Aber merken Sie, dass genau an dieser Stelle und wenn man diese Möglichkeit einmal zulässt, sich die ganze gewaltige Gottesfrage zu einer sehr konkreten Vertrauensfrage zuspitzt? Nämlich zu der Frage: „Kann ich diesem Jesus vertrauen?“ Und es nicht blindes Vertrauen, wo man glaubt, ohne mitzudenken. Sondern sehendes Vertrauen, wo ich nachfragen darf, wo ich überprüfen darf, wie glaubwürdig die Überlieferungen wirklich sind, und so weiter und so sofort. Und irgendwann selbst zu einem Schluss komme. Ich kann Ihnen diese Frage nicht abnehmen, aber ich bitte Sie, sich diese Frage einmal ernsthaft zu stellen:
„Was glaube ich von Jesus?“
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