Lessings Ringparabel gilt als Schlüsseltext der Aufklärung und pointierte Formulierung der Toleranzidee. Sie findet sich bereits in der 73. Novelle des Il Novellino (13. Jh.) und in der dritten Erzählung des Ersten Tages von Giovanni Boccaccios „Decamerone“. Zu den Vorlagen für Lessing zählen auch Jans des Enikels Erzählung von Saladins Tisch (13. Jh.) und die Erzählung „Vom dreifachen Lauf der Welt“ in den Gesta Romanorum. Bis ins 11. Jahrhundert lässt sich der Stoff von den drei ununterscheidbaren Ringen zurückverfolgen.
Die Ringparabel von Lessing erzählt folgende Geschichte: Der muslimische Sultan Saladin lässt Nathan, einen jüdischen Kaufmann, zu sich rufen und fragt ihn, welche der drei monotheistischen Religionen (Christentum, Islam, Judentum) er für die wahre halte. Nathan erkennt sofort die ihm gestellte Falle: Erklärt er seine Religion zur „einzig wahren“, muss Saladin das als Majestätsbeleidigung auffassen, schmeichelt er hingegen dem Sultan, muss er sich fragen lassen, warum er noch Jude sei. In beiden Fällen muss Nathan zahlen. Um einer klaren Antwort auszuweichen, antwortet er mit einem Gleichnis – der Ringparabel:
Ein Mann besitzt ein wertvolles Familienerbstück: Einen Ring, der die Eigenschaft hat, seinen Träger „vor Gott und den Menschen angenehm“ zu machen, wenn der Besitzer ihn „in dieser Zuversicht“ trägt. Dieser Ring wurde über viele Generationen vom Vater an den Sohn vererbt, den er am meisten liebte. Doch eines Tages tritt der Fall ein, dass ein Vater drei Söhne hat und keinen von ihnen bevorzugen möchte. Deshalb lässt er sich von einem Künstler zwei exakte Duplikate des Ringes herstellen, vererbt jedem seiner Söhne einen der Ringe und versichert jedem, sein Ring sei der echte.
Nach dem Tode des Vaters ziehen die Söhne vor Gericht, um zu klären, welcher von den drei Ringen der echte sei. Der Richter ist aber nicht in der Lage, dies zu ermitteln. So erinnert er die drei Söhne daran, dass der echte Ring die Eigenschaft habe, den Träger bei Gott und allen Menschen gerecht zu machen. Wenn aber dieser Effekt bei keinem der drei eingetreten sei, dann könne das wohl nur heißen, dass der echte Ring verloren gegangen sei.
Der Richter gibt ihnen den Rat, jeder von ihnen solle daran glauben, dass sein Ring der echte sei. Ihr Vater habe alle drei gleich gern gehabt und es deshalb nicht ertragen können, einen von ihnen zu begünstigen und die beiden anderen zu kränken, so wie es die Tradition eigentlich erfordert hätte. Wenn einer der Ringe der echte sei, dann werde sich dies in der Zukunft an der ihm nachgesagten Wirkung zeigen. Jeder Ringträger solle sich also bemühen, diese Wirkung für sich herbeizuführen.
Lessings Ringparabel wird zumeist so verstanden, dass der Vater für Gott, die drei Ringe für die drei monotheistischen Religionen (Judentum, Christentum und Islam), und die drei Söhne für deren Anhänger und der Richter, dem der Streitfall vorgetragen wird, für Nathan selbst stehen. Eine Aussage der Parabel wäre demnach, dass Gott die Menschen gleichermaßen liebe, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, da alle drei Religionen sein Werk und alle Menschen seine Kinder seien. Entscheidend sei, dass die Menschen sich nicht darauf versteifen, die „einzig wahre Religion“ zu „besitzen“, da sie das fanatisch und wenig liebenswert mache. Zwar sei es nur natürlich, dass jeder seine eigene Religion vorziehe, denn wer werde schon seinen Eltern vorwerfen, ihn zu einem „Irrglauben“ erzogen zu haben? Diese Bevorzugung dürfe jedoch nicht dazu verführen, den eigenen Glauben als allein selig machenden darzustellen, da jede authentische Religion letztlich ihren Ursprung in Gott habe.
Weil das Maß der Echtheit des ersten Ringes darin zu sehen sei, inwieweit er „beliebt vor Gott und Menschen“ mache, sei jeder Ring echt, der dies erfülle; jeder unecht, der dies nicht erfülle. Da die Brüder sich untereinander misstrauen, könne keiner ihrer Ringe der echte sein. Die Gültigkeit jeder Religion sei demnach darin zu sehen, in welchem Maß sie zukünftig in der Lage ist, Liebe zu stiften. Die Frage, welcher Ring der echte sei, müsse deshalb zurückgestellt werden, da keine der drei Religionen die Menschen so veredele, wie es der Fall sein müsste, wenn der echte Ring (die echte Religion) nicht verloren gegangen wäre, was nach Aussagen des Richters als Möglichkeit in Betracht gezogen werden müsse. Mit seiner Antwort weist also Nathan letztlich Saladins Frage nach der „einzig wahren Religion“ zurück.
Lessing möchte bei allem zeigen, dass es eigentlich irrelevant ist, herauszufinden zu versuchen, welche der drei Religionen die wahre ist. Warum dachte er aber so? Das hängt damit zusammen, dass Lessing der folgenden Meinung war: „Kern der Religionen ist die tätige Liebe.“ Das war seine Meinung. Ich will nun gar nicht sagen, dass man so nicht denken darf, ich möchte diese Denkweise nur einmal aufzeigen. Meine Frage lautet nun: Hält Lessings Parabel einer fairen Analyse stand? Diese Frage möchte ich in Folgenden mal unter die Lupe nehmen.
Tätige Liebe – Kern der Religionen?
Meine Grundfrage lautet: Stimmt es, dass der Kern der Religionen die tätige Liebe ist? Und bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich ist das Prinzip der Nächstenliebe in jeder Religionsgemeinschaft wichtig und vorhanden, keine Frage. Sich gut und anständig gegenüber seinen Mitmenschen zu verhalten, ist überall wichtig & richtig. Aber die Frage lautet ja nicht: Was ist in den jeweiligen Religion gut und wichtig, sondern: Was ist in den jeweiligen Glaubensgruppen entscheidend, um vor Gott gerecht zu werden? Ist es wirklich die tätige Liebe, wie Lessing es sagt – sprich ein moralisch anständiger Lebensstil? Um diese Frage korrekt zu beantworten, kommen wir nicht drum herum, uns näher mit den jeweiligen Selbstverständnissen der Religionen zu beschäftigen.
Wenn wir das tun, stellen wir Folgendes fest: Ethik ist zwar überall wichtig – für unsere Frage aber nicht entscheidend. Fragen Sie zum Beispiel mal einen überzeugten Moslem, ob es ein moralisch anständiges Leben ist, das vor Gott macht. Er würde sagen, dass das an sich natürlich nicht unwichtig, aber für diesen konkreten Fall nicht das Entscheidende ist. Nein, vor Gott wird aus muslimischer Sicht der angenehm, der sich an die so genannten „Fünf Säulen des Islams“ hält, nämlich:
- Das Bekenntnis: „Es gibt keinen Gott außer Allah und Mohammed ist sein Prophet.“
- Das Gebet: Fünfmal täglich (Ritualgebet)
- Das Almosen: Steuer, die Bedürftigen zugutekommt
- Das Fasten: Der Fastenmonat Ramadan (9. Monat)
- Die Pilgerreise: Reise nach Mekka; mindestens einmal im Leben
Diese fünf Dinge sind es, die nach muslimischem Verständnis vor Gott gerecht machen. Sich anständig und gut gegenüber seinen Mitmenschen zu verhalten, ist selbstverständlich nicht unwichtig, aber eben nicht das Ausschlaggebende. Und das ist ja nur nicht mein Privatdenken. Nein, das sagt der Islam über sich selbst. Und genau deshalb würde jeder überzeugte Moslem Lessing widersprechen, wenn der uns denken lassen möchte, dass es die tätige Liebe ist, die vor Gott angenehm macht. Nein, dessen Anerkennung muss sich vielmehr vor dem Hintergrund der „5 Säulen“ verdient und erarbeitet werden.
Oder fragen Sie einmal einen engagierten Christen, ob er meint, dass es ein moralisch ansprechender Lebensstil ist, der vor Gott gerecht macht. Dieser Aussage würde er nicht zustimmen. Er würde antworten, dass kein noch so vorbildliches Leben die Beziehung mit Gott ersetzen oder die Trennung von ihm aufheben kann. Das kann, aus christlicher Sicht, nur die Gnade Gottes in Jesus Christus. Christen glauben ja, dass Gott selbst in der Person Jesu in die Welt kam, damit jeder, der sein Vertrauen auf ihn setzt, vor Gott gerecht wird. Vielleicht überrascht Sie diese Aussage ja? Es zumindest nicht unerwartbar, in Gesprächen begegnet mir eher häufiger das Missverständnis, dass es beim Christsein um das Einhalten und Befolgen von Regeln und Geboten geht. Christsein meint im Kern aber eine persönliche und vertrauensvolle Beziehung mit Gott.
Denn Christen glauben ja nicht, dass Gott ein ferner, fordernder oder gar strafender Gott ist, der uns irgendwann mal geschaffen hat und sich seitdem ab und an mal nach uns erkundigt. Nein, Christen glauben, dass Gott uns sucht und uns so sehr liebt, dass er in Jesus am Kreuz für unsere Verfehlungen gestorben ist, damit wir wieder zu ihm kommen können. Die christliche Botschaft lautet, dass nicht wir nicht durch unser Tun erlöst sind, sondern durch das, was Christus für uns getan hat. Gottes Anerkennung muss sich damit nicht erarbeitet oder verdient werden – Gottes Liebe versteht sich im Gegenteil als ein freies Geschenk, zu dem es keinerlei Voraussetzungen und auch keine nachträglichen Bedingungen gibt.
Wir sehen: Moslems und Christen würden Lessings Aussage, dass uns ein moralisch guter Lebensstil vor Gott gerecht macht, nicht nur verneinen, sie würden außerdem sagen:
„Unsere beiden Ansichten, wie man vor Gott angenehm wird, schließen sich sogar gegenseitig aus – wir können nicht beide gleichzeitig recht haben, so schön das auch wäre.“
Lessings Ringparabel liegt also, bei allem Respekt, nicht richtig, wenn sie behauptet: Kern der Religionen ist die tätige Liebe. Lessings Ansicht ist eben deshalb „schlecht recherchiert“, da sie nicht im Einklang mit dem steht, was die Religionen selbst über sich sagen. Das Problem ist also, dass Lessing selbst festlegt, „was Sache ist“ – ungeachtet dessen, was die Selbstaussage der Religionen ist. Aber nur so konnte er das Problem ja lösen.
Gottesfrage irrelevant?
Und was Lessing gemacht hat, geht ja auch nur, weil er meint, dass die Gottesfrage irrelevant sei. Letztlich ist das Beispiel von Lessing also gar kein Beispiel für Toleranz: Er hatte vielmehr die Meinung, dass die Frage nach Gott unwichtig ist. Und wenn einer sagt, dass etwas gleichgültig ist, muss er auch nichts tolerieren. Aber folgende Frage muss ja erlaubt sein: „Ist die Frage nach Gott wirklich irrelevant – ist sie wirklich so egal?“ Und die Antwort lautet „Ja“, wenn das mit Gott nicht stimmt. Wenn er nicht existiert. Denn was es nicht gibt, das braucht uns auch nicht zu interessieren.
Aber das Ganze sieht ja ganz anders aus, wenn es ihn doch geben sollte. Ich möchte Sie mal zu einem kleinem Denkexperiment einladen: Was wäre, wenn? Wenn es Gott wirklich gibt und es stimmt, dass er Ihr und mein Leben durch seine Gegenwart bereichern möchte? Dann würden wir uns mit viel viel zu wenig abspeisen lassen, wenn wir dieses konkrete Angebot unbeachtet lassen. Dann würden wir in der Tat sehr viel verpassen – wir würden uns schlichtweg mit viel zu wenig zufriedengeben. C.S. Lewis schreibt:
Wenn wir die geradezu schamlosen Verheißungen auf Belohnung und die phantastischen Belohnungen, die in den Evangelien verheißen werden, betrachten, scheint es, als müssten unsere Wünsche dem Herrn eher zu schwach als zu groß vorkommen.
Wir sind halbherzige Geschöpfe, die sich mit Alkohol, Sex und Karriere zufriedengeben, wo uns unendliche Freude angeboten wird – wie ein unwissendes Kind, das weiter im Elendsviertel seine Schlammkuchen backen will, weil es sich nicht vorstellen kann, was eine Einladung zu Ferien an der See bedeutet. Wir geben uns viel zu schnell zufrieden.
Was meine ich nun aber damit, wenn ich sage, dass wir uns mit zu wenig zufrieden geben – dass wir uns das Beste zugunsten des Guten entgehen lassen? Nur mal ein Beispiel von vielen: Ein Leben, das mit einer begründeten Ewigkeitsperspektive gelebt wird, hat spürbar positive Auswirkungen, weil es das eigene Leben im Hier & Jetzt in ein ganz anderes Licht rückt. Wenn ich weiß, dass ich mit Gott leben darf und auf die Ewigkeit zulebe, dann ist der Tod nicht das Ende – sondern der Übergang in das Große, was noch kommt.
Dann habe ich mit der Vergänglichkeit nichts mehr zu tun. Der Tod hat dann nicht mehr das letzte Wort. Wenn man das richtig versteht, dann macht das gerade nicht weltfremd und abgehoben, sondern im Idealfall bewusster und entspannter in diesem Leben. Weil man dann zum Beispiel zu Leuten sagen kann: „Ich kann dir auch was von meiner Zeit abgeben – ich habe ewig viel davon.“ Weil ich weiß: Das Beste kommt erst noch.
Oder: Ich muss nicht mehr die Angst haben, irgend etwas Wichtiges oder gar Entscheidendes zu verpassen. Ich brauche dann nicht mehr nur an meine 85 Jahre hier zu denken, in die ich möglichst viel reinpacken muss. Ich muss dann nicht mehr alles aus diesem Leben mit voller Kraft herauspressen. Und ironischerweise wird mir eine begründete Ewigkeitsperspektive dazu helfen, die schönen und erfüllenden Momenten im Leben noch bewusster zu erleben und genießen. Das ist so wie in folgender, gleichnishafter Geschichte:
Stellen wir uns zwei Wanderer vor, die durch eine einsame Gegend marschieren. Sie sind bereits seit 48 Stunden unterwegs, die Temperatur ist knapp über Null, nasskalter Nieselregen peitscht um sie herum. Ihre Vorräte neigen sich so langsam dem Ende zu und sie haben keine Ahnung, wo sie genau sind. Sie sind kurz davor zu verdursten und zu verhungern, sie frieren – die Lage ist aussichtslos.
Stellen wir uns nun vor, der eine von den Wanderern wird auf einmal ganz fröhlich, tanzt um den anderen herum und sagt: „Kann ich dir etwas von meinem Tee anbieten, soll ich deinen Rucksack tragen oder soll ich gar dich tragen?“
„Gut“, kann man nun sagen, „in Extremsituationen kann es ja durchaus mal vorkommen, dass die Betroffenen seltsame Dinge tun.“ Was hier aber passiert ist, ist, dass der eine Wanderer ein heruntergefallenes Schild im Unterholz gesehen hat, worauf zu lesen war: „Gasthof zum Goldenen Hirsch – in 500 Metern links. Kost & Logie für Wanderer frei!“ Das hat der eine Wanderer gesehen, der andere nicht. Die Lage der beiden ist immer noch die gleiche geblieben, aber die Aussichten des einen haben sich verändert. Und diese andere Aussicht ändert sein Verhalten. So stelle ich mir das auch bei der christlichen Hoffnung vor, die den Blick auf mein Leben verändern kann, weil ich eine neue Aussicht und Perspektive für mein Leben bekomme.
Nun kann man sich ja folgende Frage stellen: „Klingt das alles schön genug, dass ich daran glauben möchte?“ Ich persönlich denke aber nicht, dass dies die richtige Frage ist. Nein, ich denke, dass unsere erste Frage lauten sollte: „Stimmt das?“ Die erste Frage sollte die Wahrheitsfrage sein. Denn wenn es um die Grenzen meines eigenen Lebens geht, spätestens dann hört es ja auf, dass ich einfach etwas glaube, nur weil es sich gut anfühlt oder anhört. Nein, dafür ist mir das Thema zu ernst. Ich möchte daher etwas finden, was mich wirklich begründet überzeugt. Und wenn Sie da ähnlich denken wie ich, kann ich nur empfehlen, nachzuforschen, ob Christen denn wirklich so gute Gründe für die Hoffnung haben, von der sie immer erzählen. Und ich bleibe dabei: Wir sollten nur das glauben, was auch wirklich glaubhaft und überzeugend ist. Wir sollten uns mit nichts weniger zufrieden geben, dafür ist unser Leben viel zu kostbar.
Was wäre aber, wenn es einen guten Grund für die Hoffnung gibt, die Christen haben? Wenn es eine begründete Hoffnung noch über die Grenzen des Lebens hinaus gäbe? Was wäre, wenn das Ganze kein Wunschgebilde, sondern eine begründete Hoffnung ist – selbst für uns als Teilnehmer des 21. Jahrhunderts? Ich schreibe bewusst von einer begründeten Hoffnung, denn von einer Hoffnung, die an sich ganz schön klingt, aber weiter nichts ist, da kann sich niemand was von kaufen.
Nun sprechen Christen aber genau davon: Von einer gut begründeten Hoffnung, dass das Leben doch noch über den Tod hinaus weitergeht. Ich habe aber viel Verständnis dafür, wenn Leute sagen: “Das ist zwar durchaus schön, aber glauben kann ich es dennoch nicht.” Das erwarte ich auch gar nicht. Nein, ich möchte Ihnen stattdessen vom konkreten Grund meiner Hoffnung erzählen.
Christen saugen sich ihre Hoffnung ja nicht einfach so aus den Fingern. Nein, die Grundlage der christlichen Hoffnung ist die Auferstehung Jesu. Der christliche Glaube steht und fällt mit ihr. Was sind aber meine Gründe, dass ich so etwas Unfassbares wie die Auferstehung von Jesus wirklich historisch ernst nehmen kann? Es gibt eine Reihe davon, die die Auferstehung denkbar machen. Keine Beweise, aber doch gute Gründe, die es möglich machen, einmal testweise einen Schritt des Vertrauens zu gehen.
Und wer sich hierzu näher informieren will, der lese gerne den Beitrag „Die Auferstehung Jesu: Fakt oder Fiktion?“ weiter.
Das schreiben Sie:
„Lessing möchte bei allem zeigen, dass es eigentlich irrelevant ist, herauszufinden zu versuchen, welche der drei Religionen die wahre ist. Warum dachte er aber so? Das hängt damit zusammen, dass Lessing der folgenden Meinung war: “Kern der Religionen ist die tätige Liebe.” Das war seine Meinung.“
Wo und an welcher Stelle sagt Lessing das?
Ist das eine von Lessing gemachte Aussage, oder ist das Ihre Meinung, welche Meinung Lessing zu den verschiedenen Religionen hatte?
Ich kann an keiner Stelle irgendeine Bewertung feststellen. Überhaupt spricht Lessing immer nur von den nicht unterscheidbaren Ringen. Auch die Aussage „Saladins“ legen sich nicht auf eine inhaltliche Qualität einer Religion fest.
Es handelt sich offenbar um eine Interpratation von und durch Sie, durch die der Ringparabel eine andere, nicht im Sinne der Toleranz, Deutung erfährt.
Belegen Sie daher bitte Ihre Quellen und die Aussagen Lessings zu der Qualität der Religionen – in der Ringparabel!
matthias
Lieber Matthias,
erst einmal danke für den Beitrag. Ich sehe aber ehrlich gesagt beim besten Willen keine andere plausible Schlussfolgerung aus dem Gesamtkonzept der Ringparabel. Oder welches Bild von den drei großen Religion vermittelt sie Ihnen?
Herzlichen Gruß
Stephan Lange
Sie sollten schon so fair sein, Stephan, auf meine Frage einzugehen, weil Sie von Lessing behaupten:
“Kern der Religionen ist die tätige Liebe.” Das war seine Meinung.”
Es macht erst Sinn weiter darüber zu diskutieren, wenn Sie belegen woher Sie diese Meinung haben.
Das was Sie als „plausible Schlußfolgerung“ bezeichnen ist keinesfalls plausibel, sondern allenfalls Ihre persönliche Meinung.
Damit verdrehen Sie Lessing’s Aussagen in das Gegenteil, nämlich die Gelichwertigkeit aller Religionen.
Ist das Ihre Absicht?
matthias
Ich weiß nun nicht, ob Sie an der Universität je einen Kurs zu Lessing besucht haben, aber meine Sicht der Dinge ist keineswegs aus der Luft gegriffen oder eine Privatinterpretation, sorry. Und Sie sehen es ja ganz richtig: Lessing betont die Gleichwertigkeit aller Religionen. So weit, so gut.
Da hört Lessing auf, das eigene Nachdenken fängt aber gerade erst an: Denn wie kann Lessing die Gleichwertigkeit der Religionen postulieren, obwohl deren Glaubensbekenntnisse mehr als widersprüchlich sind? Die Antwort: Lessing beurteilte Religionen nach ihrer Moral, ihrer tätigen Menschenliebe. Das können Sie in jedem ernst zu nehmenden Studienbuch über Lessing nachlesen, z.B. in Birnsteins „Der Aufklärer“. Nur zu…
Ihre Interpretation ist eine Privatinterpretation – eine ungewöhnliche und nach meiner Meinung falsche. Ungewöhnlich deshalb, die von Ihnen angewandte Wertung sich im Werk nirgends wiederfindet. Falsch, weil Lessing postulierte, dass „alle Religionen“ wahre Religionen sind, wenn man an sie glaubt und entsprechend handelt.
Die Wahrheit liegt nicht in der jeweiligen Religion, sondern der Glaube daran. Deshalb kann die Religion an die man glaubt, als eine wahre Religion bezeichnet werden. Die Ringe sind identisch, was darauf hinweist, dass alle Religionen gleichwertig sind. Er wies, qua Parabel, auf die Verwandtschaft der monotheistischen Religionen hin – Recha und der Tempelherr sind Geschwister. Sein „Credo“ ging über die Auflösung unsinniger Religionsstreitigkeiten hinaus. Nicht bloße Toleranz der Anderen, sondern mit Hilfe der eigenen Vernunft den jeweils inneren Wahrheiten auf die Spur zu kommen.Ihre Interpretation ist durch nichts anderes gedeckt, als der Vorstellung, dass eine bestimmte Wertevorstellung die mehr oder weniger vorhandene Qualität einer Religion ausmacht, über die die Eine oder Andere Religion entsprechend verfüge, und Sie zu der Festlegung einer „Rangfolge“ bringt. Genau dagegen hat sich Lessing auch in seiner Auseinandersetzung mit dem Hamburger Pastor Goeze gewandt, der die Bibel als einziges Wort Gottes betrachtete und von daher den alleinigen Anspruch auf Wahrheit ableitete. Es sollte keine philosophische Vorlesung, ja ich habe solche gehört, werden, aber Ihre Argumentation geht an Lessings Inhalten vorbei.
matthias
Danke erst einmal für das hartnäckige Nachhaken.
Aber auch dann, wenn man diese Gedanken zugrunde legt, ist der Kerngedanke der Parabel kritisch zu beleuchten: „Alle Religionen sind wahre Religionen sind, wenn man an sie glaubt und entsprechend handelt.“ Das ist natürlich richtig – aber nur dann, wenn man davon ausgeht, dass es keinen Gott gibt. Denn wenn es ihn gibt, wie könnten die verschiedenen Religionen dann wahr sein, wenn sie Gott so unterschiedlich beschreiben, dass die Differenzen zu einem Widerspruch führen. Sind der Islam und der Buddhismus gleichzeitig richtig, dann wäre es korrekt, dass ein persönlicher Gott existiert und gleichzeitig nicht existiert. Ein anderes Beispiel: Sind der Islam und das Christentum gleichzeitig wahr, dann stimmte es, dass Jesus gekreuzigt wurde (einer der zentralen Aussagen des Christentums), aber gleichzeitig nicht gekreuzigt wurde (Sure 4, 157).
Das passt alles schwer zusammen…
Ihre Feststellungen: “Alle Religionen sind wahre Religionen sind, wenn man an sie glaubt und entsprechend handelt.” läuft ihrer nachfolgenden Aussage zuwider: „Das ist natürlich richtig – aber nur dann, wenn man davon ausgeht, dass es keinen Gott gibt“
Lessing hat sich an keiner Stelle der Parabel mit der Frage auseinander gesetzt ob es Gott gibt. Das tat er aus gutem Grund nicht. Er wusste, und sie wissen dies auch, dass man Gott nicht beweisen kann.
Ließe sich Gott wissenschaftlich fassen und beweisen, wäre er nicht mehr Gott.
Diese fundamentale Erkenntnis lässt als einzig mögliche Antwort die des Glaubens zu!
Jeder ernsthafte Gläubige kann keinen „Nachweis“ zu Gott erbringen, gleichgültig zu welcher Glaubensrichtung er sich bekennt.
Sie schieben der Parabel eine Interpretation unter, die von der Prämisse, dass EIN Glaube der ausschließliche ist, ausgeht.
Fairer Weise müssen sie dann diese Annahme demjenigen, der einer anderen Glaubensrichtung angehört, ebenfalls zugestehen.
Das führt zu einer Wettbewerbssituation, die sie ja schon angeführt haben, bei der die Beteiligten ihre Standpunkte ausschließlich mit ihrem persönlichen Glauben begründen können.
Da man Gott aber faktisch nicht beweisen kann, liegt im günstigsten Fall eine Patt-Situation vor.
Wie die Geschichte gezeigt hat, war das – leider – oft Anlass für gegenseitige Verdammung, Hass, Verfolgung, Mord und Totschlag. Fataler Weise nicht nur im Verhältnis zu anderen Glaubensgemeinschaften, sondern auch innerhalb eigener Gemeinschaften bei differierenden Glaubensansichten.
Wenn aber niemand etwas schlüssig beweisen kann, aber an SEINEM Glauben festhält, warum sollte man anderen ihren Glauben streitig machen?
Es ist ein Gebot der Klugheit über UNBEWEISBARES keinen Streit zu beginnen.
Lessing hat das erkannt und, mit Nathan dem Weisen, zum Ausdruck gebracht.
matthias
Ich kann Ihren Einwand ganz gut nachvollziehen. Ich vermute, dass der entscheidende Knackpunkt bei allem Ihrem Gesagtem aber darin liegt, dass Sie von Folgendem ausgehen – nämlich:
Ich halte diese Ansatz aber, bei allem Respekt, für viel zu kurz gegriffen. Denn das würde ja bedeuten, dass es in der Lebenswelt der Menschen gar nichts gäbe, was auf die Existenz Gottes hinweisen würde. Aber das ist ja nicht korrekt. Ich nenne nur mal einen Punkt von vielen: Es gibt da z.B. die Glaubenserfahrungen von Milliarden von Menschen (Muslime, Christen, Juden, Hindus etc.), die sagen: „Ich habe diese Erfahrung mit Gott gemacht.“ Und das ist natürlich ein Untersuchungsgegenstand. Ich kenne dagegen keine Milliarden von Menschen, die sagen: „Ich habe etwas mit einem Fliegenden Spaghettimonster erlebt.“ Hier ist also eine andere Forschungsgrundlage, von der ich ausgehe.
Man könnte nun natürlich ganz soziologisch rangehen und sagen: „Ja das ist alles nur anerzogen.“ Aber das genügt ja nicht. Denn ich stelle dann ja von Vorneherein, was diese Leute gesagt haben erlebt zu haben in Frage und sage: „Das stimmt ja gar nicht. Ich weiß besser, was Du erlebt hast.“ Das ist aber aus meiner Sicht kein offener Forschungsansatz, sondern einer, der von einem festen Denksystem ausgeht – und bei dem ich das, was der andere erlebt hat, so deute, damit es in mein System passt.
Wenn ich allerdings so vorgehe, dann wird es nie Argumente geben, die mein Weltbild in Frage stellen. Das wäre dann vlt. vergleichbar mit dem geschlossenen Weltbild des Mittelalters, wo man auch alle Dinge ins vorherrschende System gebracht hat. Da konnte man sagen, was man wollte. Wenn ich aber zumindest einmal die Möglichkeit in Betracht ziehe, mein Weltbild (testweise) in Frage zu stellen und dann vor Milliarden von Menschen stehe, die mir sagen: „Ich habe diese Erfahrung mit Gott gemacht.“ könnte man sich ja sagen: „Wäre es nicht vielleicht möglich, dass da doch etwas dran ist?“ Hier scheint mir ein Forschungsansatz viel zu verkürzt, der von Vorneherein stets verneint, was diese Leute behauptet, erlebt zu haben.
Es gibt also durchaus einen ernst zu nehmenden Untersuchungsgegenstand, wenn es um die Frage geht: „Gibt es einen Gott?“ Und das war wie gesagt nur ein Aspekt von vielen, die man hierbei berücksichtigen sollte.
Warum, Stephan, versuchen sie mir eine Diskussion aufzunötigen, die weder dem Inhalt der Parabel, noch meiner eigenen Intention entspricht?
Um bei einem – sicher mangelhaften, aber bildlichen – Beispiel zu bleiben:
Ich versuche ihnen klarzumachen, dass die Verkehrsregel, dass bei „grüner Ampel“ alle Fahrzeuge in die gleiche Richtung fahren dürfen, gilt.
Sie wollen klären ob es überhaupt Autos gibt und welches davon das „richtige“ ist.
So kann man keinen ernstgemeinten Dialog führen.
Kann es sein, dass sie die Ringparabel nie gelesen haben?
Die Frage ob es einen Gott gibt, wird darin an keiner Stelle gestellt.
matthias
Lieber Matthias,
sorry, da habe ich mich möglicherweise zu unklar ausgedrückt. Sie sagten ja selbst: „Lessing hat das [= die Unnötigkeit des Streitens über Unbeweisbares] erkannt und, mit Nathan dem Weisen, zum Ausdruck gebracht.“ Und ich stimme Ihnen zu: Diese Erkenntnis ist sehr zentral für Lessings Werk. Wollen wir uns nun aber über Lessings Werk richtig unterhalten, gilt es folglich, die Stimmigkeit dieses Gedankens, an dem so vieles (wenn nicht gar alles), zu überprüfen. Denn wenn der zentrale Kerngedanke „hinkt“ ist, gilt es ja auch, den Rest mit Vorsicht zu genießen.
Herzliche Grüße.
DAS kann aber nicht Gegenstand DIESER Diskussion sein.
Ihre Aussagen, dass Lessing mit dieser Fabel die Frage nach dem Vorhandensein Gottes gefragt hat ist schlichtweg falsch, ja entstellend.
Wenn sie über das Werk Lessings unter dem Aspekt der Beweisbarkeit Gottes führen möchten, hat das mit der Ringparabel NICHTS zu tun, vor diesem Hintergrund halte ich eine weiterführende Diskussion unter ihrer Überschrift der Kritik an der Ringparabel für intellektuell unredlich.
Entscheiden sie sich!
matthias
Das habe ich gar nicht behauptet, dass in der Ringparabel selbst die Gottesfrage gestellt wird (aber das heißt ja nicht, dass bei Nachdenken über Lessings Werk keinerlei Rolle spielt.) Ich habe gesagt bzw. wollte sagen, dass ich Lessings Postulat, dass alle Religionen wahre Religionen sind, wenn man an sie glaubt und entsprechend handelt, anzweifele – und damit den Kerngedanken seiner Parabel. Und wie gesagt: Wenn die zentrale These hinkt ist, gilt es eben auch, den Rest mit Vorsicht zu genießen.
Und womit wollen sie das begründen?
Diese „Kernthese“ würde sich dann als falsch herausstellen, wenn sie oder irgendjemand anderes beweisen könnte, dass ( S) EINE Religion die einzig richtige ist.
Genau das behaupten zwar viele, können, außer ihrem persönlichen Glauben, nichts vorweisen.
Nehmen sie die abrahamitischen Religionen – jeder beansprucht für sich die Wahrheit. Welche kann es beweisen?
Was ist mit den zahlreichen Religionen, die bereits nur noch Geschichte sind und was mit den nichtchristlichen?
Die Anzahl der Mitglieder ist kein Beweis, vielleicht ein Zeichen aktiveren „Marketings“!
DAS und nur das hat Lessing darstellt, nicht das, was sie anscheinend vermuten.
Oder können sie an anderer Stelle in Lessings Werk einen ordentlichen Beweis führen?
matthias
Die Kernthese würden sich auch dann als falsch herausstellen, wenn sich die Religionen so verschiedene Aussagen treffen, dass es zu Widersprüchen kommt – und damit (mindestens) eine Religion nicht wahr sein kann. Sie wissen es sicherlich: Wenn der Islam wahr ist, ist damit automatisch das Christentum falsch. Warum? Weil man im Islam davon ausgeht, dass Jesus nicht Gott war (sondern Prophet) und auch nicht gekreuzigt wurde (vgl. Sure 4, 157) Nun ist die Kreuzigung und die damit verbundene Auferstehung Jesu aber das zentrale Element im Christentum; wenn sie nie stattgefunden hat (wie es der Koran aber sagt), dann ist der gesamte christliche Glaube falsch. Das ist nun einmal so. Oder wenn das Judentum wahr ist, sind auch automatisch das Christentum und der Islam falsch.
Es gibt also zwei Möglichkeiten: Entweder hat von den abrahamitischen Religionen eine Religion Recht oder gar keine. Es ist logisch unmöglich, dass zwei oder alle drei gleichzeitig wahr sind. Aber egal, ob eine oder keine: Lessings Postulat, dass alle Religionen wahre Religionen sind, wenn man an sie glaubt und entsprechend handelt, greift ins Leere.
Sie kommen aus ihrer selbstgestellten Falle nicht heraus, weil sie darauf bestehen, dass eine Religion richtig sein muss.
Diesen Beweis können sie aber nicht liefern, den kann niemand liefern!
Sie können es als Christ, als Jude, als Moslem für sich selbst glauben, es für wahr annehmen und danach leben – beweisen können sie es nicht!
Der von Lessing dahinter stehende Gedanke geht genau deswegen von der Unbeweisbarkeit der Richtigkeit aller Beteiligten aus.
Deshalb gibt der „Richter“ den Rat, jeden der drei Ringe als den Richtigen anzusehen, weil sie ja sonst alle Brüder die „Betrogenen“ wären.
Lessings Empfehlung jede Religion unter diesen Gegebenheiten als „Richtige“ anzuerkennen greift keinesfalls ins Leere, sondern zeugt von hohem Respekt vor Gott – der eben nicht zu beweisen, sondern „nur“ als gegeben anzusehen ist – außerhalb jeglicher kleinlicher menschlicher Rechthaberei.
Gott hat keine Konfession!
matthias
Hm, vielleicht haben Sie ja meinen Satz überlesen, als ich schrieb: „Es gibt also zwei Möglichkeiten: Entweder hat von den abrahamitischen Religionen eine Religion Recht oder gar keine.“ Ich sage also keinesfalls, dass eine Religion richtig sein muss. Und die Unbeweisbarkeit des christlichen, muslimischen, jüdischen Glaubens etc. steht natürlich außer Frage. Ich vermute aber, Sie sind sich den hochgradigen Unterschieden der verschiedenen Religionen nicht bewusst. Münzen sie den Rat des Richters, jeden der drei Ringe als den Richtigen anzusehen, doch einmal auf die Glaubensinhalte der einzelnen Religionen. Nehmen wir nur einmal den Islam und das Christentum. Und führen wir uns hier einmal einen sehr zentralen Aspekt von Religionen vor Augen – nämlich die Frage: „Wie werde ich vor Gott gerecht?“ Im Islam wird gesagt, dass man es sich erarbeiten muss, vor Gott angenehm zu werden (Stichwort „5 Säulen des Islam). Das nennt man landläufig auch „Werksgerechtigkeit“, wo ich mir meine Gerechtigkeit vor Gott durch gute Taten verdienen muss. Die christliche Botschaft sagt das genaue Gegenteil, sie sagt: „Du kannst Dir Gottes Zuwendung nicht erarbeiten oder verdienen. Du kannst noch so viele gute Taten tun, Du wirst Gottes Maßstäbe niemals erfüllen können. Aber das brauchst Du auch nicht, weil Gott in Jesus bereits alles dafür getan hat, damit Du gerecht vor ihm werden kannst. Und alles, was Du tun brauchst, ist, Gottes Angebot der Versöhnung, den Opfertod Jesu am Kreuz, für Dich in Anspruch zu nehmen.“
Führen wir diese „Wegbeschreibungen zu Gott“ einmal auf den Richter zurück; der sagt den Brüdern dann sinngemäß: „Jeder eurer Ringe ist richtig. Bruder A, Dein Ring besagt, dass Du Gottes Anerkennung nur so erlangen kannst, indem Du Dir das erarbeitest und verdienst. Bruder B, Dein Ring besagt das genaue Gegenteil: Gottes Anerkennung bekommst Du geschenkst, wenn Du die Angebot der Vergebung in Anspruch nimmst, was Jesus am Kreuz für Dich erwirkt hat.“ Und nun könnte einer dieser beiden Brüder völlig zu Recht sagen: „Aber Richter! Du hast doch gesagt, Ring A ist richtig, aber mein Ring sagt genau das Gegenteil dazu. Wie können Sie beide gleichzeitig wahr sein, wenn sie genau das Gegenteil voneinander behaupten?“
Und genau das ist ja das Problem: Wenn man die Kernbotschaften der einzelnen Religionen ernst nimmt, dann kommt man nicht herum festzustellen, dass sie sich gegenseitig sehr widersprechen. Wer zwei Dinge, die sich gegenseitig widersprechen aber trotzdem beide als „gleichzeitig wahr“ beschreibt, der ist nicht glaubwürdig (wie eben der Richter der Ringparabel).
Nein, es gelingt ihnen nicht, mit rhetorischen Kunstgriffen die tatsächlich vorhandenen Unterschiede der Ringe (Religionen) in die Parabel hinein zu interpretieren.
Der Vater lässt sich mit keinem Wort über die Ringe aus, er übergibt JEDEM EINZELN seinen Ring, weil er ihn „am liebsten habe“.
An keiner Stelle lässt sich der „Richter“ über die Qualität des jeweiligen Ringes aus.
Eine „Bewertung“ eines Ringes = einer Religion findet nicht statt.
Die Brüder werden aufgefordert jeweils ihren Ring als den authentischen anzusehen.
Wenn der rechte Ring „vor Gott und den Menschen beliebt mache“, wird sich im Laufe der Zeit, vielleicht erst am Ende der Zeiten, herausstellen, welcher Ring der richtige war.
Durch den Hinweis auf den „anderen Richter, der nach über tausend tausend Jahre“ sein Urteil fällt, scheint ein Hinweis auf einen endzeitlichen Richter enthalten zu sein.
Die Frage welche Religion wie wahre ist, muss deshalb als nicht zu beantworten offen bleiben.
Bis dahin soll jeder Sohn seine Handlungen von Friedfertigkeit, Menschenliebe, Nächstenliebe und Glaube an „seinen Ring“ leiten lassen. Nur dadurch kann sich die Glaubwürdigkeit der Echtheit seines Ringes belegen lassen.
Einen weiteren Anspruch stellt „Nathan“ nicht.
Es aber wäre ein gewaltiger Schritt zum gegenseitigen Verständnis aller Menschen – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
matthias
Danke für Ihren Beitrag. Ich stimme Ihnen voll und ganz zu: Das wäre ein gewaltiger Schritt, wenn religiöse Menschen die Debatte, wer nun „richtig“ liegt, auf der Ebene der Argumente belassen würden – und nicht auf die Ebenen der (brutalen) Taten umschwenken. Genau das meint ja auch Toleranz, wenn ich selbst von mir sagen kann: “Ich habe einen Standpunkt, den ich für überzeugend halte, aber ich kann es aushalten, wenn jemand anderes einen anderen Standpunkt hat. Ich teile die Sicht meines Gegenübers zwar nicht und glaube sogar, dass er bei bestimmten Punkten nicht richtig liegt. Ich werde ihm aber stets mit vollem Respekt und Wertschätzung begegnen.” Ich halte diese Einstellung gerade für Christen für sehr zentral, aus einem einfachen Grund: Weil sie schlichtweg „bibel-kompatibel“ ist. Jesus fordert Christen ja dazu heraus, jedem Menschen – selbst denen, die einem nichts Gutes wollen – mit höchster Wertschätzung zu begegnen. Nicht nur mit Toleranz, sondern sogar viel mehr als das – mit Liebe. So sollte ein Toleranzverständnis sein, für das Christen sich stark machen – zumindest sollten sie es, eben weil es “im Sinne des Erfinders” ist. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, das man auch für das werben darf, was man für die Wahrheit hält, mit der Einschränkung, dass dieses Werben nur dann geschehen darf, wenn es friedlich und respektvoll daherkommt und auch nur mit den Mitteln des Arguments zu überzeugen versucht wird.
Ich denke auch: Christen sollten die Ersten sein, die anerkennen, dass in den anderen Weltreligionen viel Gutes und Wahres steckt. So sind diese sich ja erstaunlich einig darüber, was ethisch gutes Verhalten ist; z.B. verurteilt jede Religion (auf ihre Art) Gier und Egoismus. Und ich respektiere ihre Sicht in der „Wahrheitsfrage“. Bei all diesem Respekt komme ich aber nicht drumherum zu bemerken, dass ihre Haltung nicht so liberal ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Denn sie hört ja nicht darauf, was die Religionen in Wirklichkeit sagen und bügelt die Unterschiede zwischen ihnen glatt. Sicher, Sie leugnen die Unterschiede zwar nicht. Sie wissen sicherlich sehr wohl, dass der Buddhist an keinen Gott glaubt, der Jude an einen und der Hindu an viele Götter. Aber zumindest scheint es mir so, dass Sie annehmen, dass diese Unterschiede nicht sonderlich wichtig seien – und sagen damit indirekt, dass Sie den Glauben und die Sitten der Religionen im Grunde nicht ernst nehmen. Diese „liberale“ Position versteht sich als religiös tolerant, aber der Preis der Toleranz ist, dass sie von den Religionen verlangt, ihre spezifische Identität entweder aufzugeben oder zu sagen, dass sie nicht wichtig sei.
Ich weiß, dass ich von der Ringparabel abkomme und auf die realen Bedingungen des religösen Weltgeschehens überschwenke. Aber Lessings Werk möchte ja auch gerade einen Aussage für die Wirklichkeit treffen, daher finde ich es unabdingbar, diese tatsächlichen Bedingungen auch zu berücksichtigen.
Herzlichen Gruß
Stephan
OK, Stephan, wenn ich ihren Blog lese, wundert mich ihre „Ja – Aber Position“ nicht.
Lessings „Message“ verstehe ich so, dass gerade wegen der vorliegenden Unterschiede sich niemand einbilden sollte, er alleine habe die einzige Wahrheit.
Derartiges zu postulieren ist m.E. nur möglich, wenn man weiß wovon man spricht.
Bei Lessing kann man davon ausgehen, dass er zumindest die abrahamitischen Religionen sehr gut kannte.
Die von Ihnen aufgeworfene Toleranzfrage und die dazu notwendigen Kenntnisse anderer Religionsvorstellungen müssten an anderer Stelle diskutiert werden.
In diesem Sinn freundliche Grüße
matthias
Ja, das können wir gerne machen – also die Weiterführung dieses Themas an anderer Stelle. Es scheint zumindest so, dass sich diese Diskussion so langsam dem Ende zuneigt – gerade deshalb möchte ich auf den Text von LAUFEN (2002) zur Ringparabel hinweisen, der sicherlich noch viel mehr Punkte ansprechen und berücksichtigen kann, als es hier in solch einem „beengten“ Kommentarfeld möglich ist.
http://www.ifl-muelheim.de/wwwAktuell/Publikationen/aufsaetze_14.pdf
Super Artikel!
Wir behandeln dieses Thema momentan im Deutsch-Unterricht und ich muss sagen, dass ich es durch diese Seite sehr gut verstanden habe. Zudem finde ich die Geschichte ziemlich interessant und einleuchtend. Danke!
Danke, das freut mich 🙂
Oh mein Gott! Ich hab mehr aus der Diskussion in den Kommentaren gelernt als von dem Beitrag selbst. xD Danke für meinen Deutschunterricht 😛
Also ich muss sagen, dass ich den Artikel als auch die Diskussion sehr genossen habe. Der Menschen Irren und Wirren sind doch recht ausgeprägt. Lessing wollte einen Beitrag zum Religionsfrieden leisten, doch wie wir heute wissen, war er nicht sehr nachhaltig. 😉 Interessant ist die immer präsente logische Falle. Wenn in einer Religion A gilt und in einer anderen non A, dann muss doch mindestens eine dieser Religionen falsch sein. Ich höre dann immer den Teufel sich ins Fäustchen lachen und zu Gott sagen: es ist wie ich gesagt habe, Gott, Du kannst den Menschen noch soviel schenken, sie missachten Deine Gnade und hauen sich viel lieber die Köpfe ein.
Lieber Waldemar,
danke für Ihren Kommentar. Und ich denke, Sie haben sogar Recht, wenn es um die „Sekundärthemen“ beim Glauben geht. Hier ist es wahrlich egal, ob Unterschiede auftauchen – denn selbst, spielen sie keinerlei Rolle.
Kritisierbar fände ich Ihren Standpunkt nur dann, wenn er einen zu folgender Aussage nötigt: „Obwohl Religion A im zentralsten Kern A und der zentralste Kern von Religion B Nicht-A annimmt, gehen beide Religionen trotzdem vom Gleichen aus.
Genau das haben wir z.B. beim Islam & Buddhismus. Muslime sagen: Es gibt nur einen Gott und Mohammed ist sein Prophet. Ein engagierter Buddhist würde dem nicht zustimmen und sagen: „Gott existiert gar nicht.“ Haben nun Buddhisten und Muslime gleichzeitig Recht – ich sehe nicht, wie das gehen soll.
Sicherlich: Man kann es sich wünschen oder hoffen, dass Religion A und B im Grunde genommen gleich sind. Ich sehe aber ehrlich gesagt und in aller Höflichkeit nicht, das dieser „fromme“ Wunsch in der Realität eine Chance hat.
Mich wundert, dass die beiden Hauptkommentatoren so gar nicht auf einen Nenner kommen.
Das liegt daran, dass nicht geklärt wird, was Lessing eigentlich mit der Ringparabel ausdrücken wollte:
Jede der drei abrahamitischen Religionen hat ihren eigenen Wahrheitsanspruch.
Das Dilemma verschiedener, sich teils widersprechender Wahrheiten kann nicht logisch oder argumentativ gelöst werden.
Nun müssen die Menschen der verschiedenen Religionen allerdings irgendwie miteinander umgehen.
Lessings/Nathans/des Richters Lösung: Jeder der drei Brüder tue so, als ob er den richtigen Ring habe, und erweise das durch sein Verhalten („Es eifre jeder seiner unbestochnen von Vorurteilen freien Liebe nach!
Es strebe von euch jeder um die Wette, die Kraft des Steins in seinem Ring‘ an Tag zu legen! Komme dieser Kraft mit Sanftmut, mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, mit innigster Ergebenheit in Gott zu Hilf‘!“)
Übertragen: Jede Religion tue so, als ob sie die richtige sei, und erweise das durch das liebende, verträgliche, hilfsbereite, glaubende Verhalten der Gläubigen.
Die Frage nach der Wahrheit selbst, über die hier so lange disputiert wurde, stellt Lessing gar nicht, lässt sie bewusst offen.
Zu recht, wie ich finde, denn transzendente Wirklichkeiten lassen sich mit unserer kontingenten Vernunft nicht objektiv beweisen – auch wenn Milliarden von Menschen subjektiv davon überzeugt sind, echte Gotteserfahrungen gemacht zu haben (die sich untereinander ja auch wiedersprechen).
Ob Lessing mit dem weiseren Richter nach 1000 Jahren den endzeitlichen Richter meint?
Darum geht es Lessing meiner Meinung nach nicht, sondern ganz pragmatisch darum, die Wahrheitsfrage bei der Begegnung zwischen den Religionen zugunsten der praktischen Toleranz und Menschenfreundlichkeit auszuklammern.
Christian
Danke Christian, sie bringen es wirklich auf den Punkt!
Was mir an der Interpretation des Blogautors so wahnsinnig aufstößt sind die vielen Gedankensprünge und Umformulierungen durch die Lessings Text (bewusst oder unbewusst) völlig verkehrt wiedergegeben oder umgedeutet wird.
Der Text hat sein eigenes Narrativ und ist bewusst in eine Geschichte und Bilder eingebettet. Er spricht eigentlich für sich. Aber man hält sich natürlich die Ohren zu, wenn man den Appell der Parabel nicht hören möchte, sondern sich lieber in den Wettstreit der Religionen vertiefen möchte …