48: Gott sagt in den 10 Geboten du sollt nicht töten. Bei der Sinflut starben viele Menschen genau wie bei den 7 Plagen. Er hätte doch gleich den Pharao töten können, er starb doch nachher sowieso im Meer. Gott hält sich damit selber nicht an die Gebote. Das wäre das gleiche wie wenn mein Vater sagt du sollst nicht rauchen sich aber eine nach der anderen anzündet. Wie soll man das ernst nehmen? Sollte Gott da nicht als Vorbild dienen? Sollte Gott da nicht die Gebrauchsanweisung fürs Leben sein? Zu viele Widersprüche die man auch nicht weg diskutieren kann. Wenn man an ein Buch wie die Bibel glaubt dann komplett und nicht nur das neue Testament mit Jesus Christus.
Danke für diesen Einwand, den ich ganz gut nachvollziehen kann. Aus der Erfahrung heraus muss ich allerdings sagen, dass viele Widerspruchsvorwürfe wahrscheinlich gar nicht erst aufkommen würden, wenn man sich selbst einmal näher mit ihnen auseinandersetzen würde. Viele Skeptiker, mit denen ich Gespräche geführt habe, zeigten zudem die ungesunde Einstellung, davon auszugehen, dass ihr Widerspruchsvorwurf auf jeden Fall korrekt ist und es absolut ausgeschlossen ist, dass sie wichtige Informationen einfach nicht kennen, die zur Lösung des Problems beigetragen hätten.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Nichts gegen Skepsis oder kritische Fragen – beides ist erwünscht und erlaubt. Aber wer denkt, nur weil man selbst einen Sachverhalt aktuell nicht auflösen kann, dieser Sachverhalt auch wirklich unauflösbar ist, unterliegt einem gedanklichen Trugschluss.
Wie gesagt: Nichts gegen Skepsis, die ist richtig und wichtig. Aber mir ist ehrlich gesagt noch kein Kritiker begegnet, der sich einmal ernsthaft und anständig mit dem Thema seines Vorwurfs auseinandergesetzt hat – schlimmer vielmehr: Viele Skeptiker legen leider manchmal genau das an den Tag, was sie so oft bei Gläubigen kritisieren: Überheblichkeit und Sturheit. Da wird leider nicht geprüft, ob der Vorwurf einer kritischen Prüfung standhält. Alleine die Tatsache, dass der Vorwurf auf den Tisch gebracht wurde, reicht vielen als Begründung aus, dass der Vorwurf korrekt ist. Weiteres Nachprüfen? Fehlanzeige. Leider. Dabei gibt es gute Literatur, zur Gewaltdebatte im AT z.B. Kriegers „Gewalt in der Bibel. Eine Überprüfung unseres Gottesbildes“, um nur mal ein Beispiel zu nennen. Oder zur Sinnflutfrage den kurzen Blogtext in #24.
Nur einige wenige prüfen den Sachverhalt wirklich nach, um sich den vorgebrachten Vorwurf nicht gefallen lassen zu müssen. Wenn das geschieht, ist das natürlich sehr löblich. Dann gibt es aber immer wieder auch Spezialisten, die zwar prüfen, sich von Vorneherein aber schon darauf festgelegt haben, dass egal wie die Argumente lauten werden, sie auf jeden Fall falsch zu sein haben. So eine Haltung wird ja gerne als “professionelle Skepsis” bezeichnet, also eine Skepsis, die sich auch durch die besten Gründe nicht erweichen lässt. Das ist für mich die Skepsis eines Mannes, von dem ich mal gehört und habe der von sich sagte, er sei tot. Vielleicht kennen Sie die Geschichte ja:
Viele Ärzte konnten diesem Mann das nicht ausreden, bis er auf einen traf, der zu ihm sagte: “Sie glauben also wirklich, sie sind tot? Ich lese Ihnen nun einen Satz aus diesem medizinischen Lehrbuch vor und Sie sagen mir, ob Sie glauben, ob der Satz stimmt oder nicht, okay?” Der Mann willigt ein, der Arzt liest vor: “Tote Menschen bluten nicht. Glauben Sie, das stimmt?” Der Mann antwortet: “Ja, wenn’s da steht, wird es schon stimmen.” Der Arzt holt daraufhin eine Spritze und sticht dem Mann in den Unterarm. Ein dicker Bluttropfen rollt den Arm des Mannes herunter und dieser ruft begeistert: “Ein Wunder! Toten Menschen bluten doch!”
Ich für meinen Teil wünsche mir vielmehr „gesunde Skepsis“. Und wenn gesunde Skepsis zu Tage tritt, dann muss Denken nicht mehr nur dazu benutzt werden, um das zu bestätigen, was man glaubt oder eben nicht glaubt. Dann ist man offen und unvoreingenommen für andere Gedanken und Argumente, immer aus sicherer Distanz versteht sich. Es ist also ein großer Unterschied, ob ein Widerspruchsvorwurf vor oder nach einer gewissenhaften Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Thema erhoben wird.
Aber schlussendlich dann doch noch im Nachtrag zumindest ein Antwortvorschlag auf die gestellte Frage, der aber nur genau das sein kann: Ein Vorschlag, der aufgrund der Mächtigkeit des Themas in einem Rahmen wie diesem hier auch nicht voll erschöpfend sein kann. Aber selbst so ein Vorschlag kann ja weiteres kritisches Nachfragen und Nachdenken anstoßen. Wie sieht es also z.B. mit dem Pharao aus? Sollte sich ein Gott nicht an seine eigens aufgestellten Gebote halten, z. B. „Du sollst nicht töten?“ Nun, in den Zehn Geboten (2. Mose 20,2ff., bzw. 5. Mose 5,4f.) steht in den meisten deutschen Bibelübersetzungen ja wirklich „Du sollst nicht töten“. Nur wenige schreiben sinngemäß „Du sollst nicht morden”. Das hebräische Wort, das hier verwendet wird, lautet razah (dt. töten, morden oder erschlagen) und bezeichnet besonders das Morden, d. h. ungesetzliches Töten. Gemeint ist also stets das unrechtmäßige Töten eines einzelnen Menschen, sei es durch vorsätzlichen Mord oder aber durch unbeabsichtigten Totschlag. Das Hebräische kennt auch andere Worte für das Töten. Für bestimmte Fälle sah die jüdische Bibel also durchaus vor, dass Menschen getötet werden durften, etwa im Rahmen der Todesstrafe oder im Falle eines von Gott angeordneten Krieges.
„Wie kann Gott einen Krieg anordnen?“, fragen nun sicherlich viele. Die Antwort findet sich, wenn wir anfangen zu verstehen, dass Gott (gerade in den alttestamentlichen Zeiten) subjektiv und parteilich ist – nämlich ein „Gott der kleinen Leute“, der die Freiheit der Versklavten will; insbesondere die Freiheit der versklavten Israeliten, Gottes erwählten Volk. Als Herr über alle Menschen zeigt er sich darin, dass er die Macht auch über die Unterdrücker hat. Der Gott Israels führt die Unterdrückten und Versklavten in die Freiheit, er erhebt die Niedrigen. Er setzt sich also für die ein, die entrechtet und geknechtet sind. Und er tut dies mit aller Macht. Das 2. Buch Mose spricht z.B. durchweg von einem Gott, der die Sklaverei beendet und für die eintritt, die eines menschenwürdigen Daseins beraubt sind. Um ihnen zu helfen, kann dieser Gott auch aggressiv werden. Um sie vor erneuter Versklavung zu retten, kann Gott auch zu Gewaltmitteln greifen. Gott liebt sein Volk Israel, deswegen ist er zornig auf alles, was sie kaputt macht bzw. kaputt zu machen droht. Diese Art von Zorn ist aber kein Gegensatz zu Liebe, sondern Ausdruck von Liebe.
Im Kontext von Unterdrückung und Menschenverachtung ist der gewalttätige Gott also ein Gott der Gegen-Gewalt. Im Deutschen können wir den Zusammenhang an einem Wortspiel verdeutlichen: Der gewalttätige Gott ist ein gewaltiger und waltender Gott. Anders: Die biblischen Texte schildern, wie der Gott Israels mit aller Gewalt gegen die Feinde und Unterdrücker seines Volkes vorgeht; weil die Verfasser eben davon überzeugt sind, dass Gott die Macht hat, seine Schützlinge auch tatsächlich zu schützen und dass er diese Macht nutzt und nicht untätig bleibt.
Unser Pochen auf die Rechte aller Menschen hat natürlich zweifellos seine Berechtigung, keine Frage. Eine abstrakte, juristische Sichtweise übersieht aber, dass sie in der Praxis letztendlich zum Vorteil des Stärkeren ausfällt. Eine anschauliche Illustration bietet uns vielleicht die weitgehende Aussichtlosigkeit von Prozessen wegen medizinischer Kunstfehler, von denen wir immer wieder hören: Natürlich ist es das gute Recht des geschädigten Patienten, auf Schadensersatz zu klagen. Doch die Chancen, sich gegen finanzstarke Ärzte und Klinken durchzusetzen, gegen deren Versicherungen und Gutachter, sind in der rauen Realität sehr gering. Oder: Im Weltmaßstab mag man an die Ideologie vom freien Handel denken. Der durch Subventionen oder Strafzölle unbeeinflusste Warenaustausch sichert den Zugang jeden Wettbewerbers zu allen Absatzmärkten – theoretisch. De facto setzen sich aber die stärkeren Volkswirtschaften durch. Länder, die aufgrund ihres historischen Schicksals als ehemalige Kolonien, durch Kriege und Naturkatastrophen sowieso schon hintendran sind, fehlt meist die Kraft, um im Konkurrenzkampf mitzuhalten.
Dass wir heutzutage z.B. eher Mitleid mit den ertrunkenen Ägyptern haben, als die Freude der jüdischen Texte über die Befreiung der unterdrückten und versklavten Israeliten zu teilen, liegt zweifelsohne (auch) daran, dass wir – insbesondere in Deutschland – den Blick für die Versklavten und Geknechteten verloren haben. In unserer Gesellschaft, in der der Sozialausgleich immerhin soweit funktioniert hat, dass es kein Proletariat mehr gibt, kommen Arme nur noch als Randerscheinung vor (z.B. als Bettler und Obdachlose). Die Unterdrückung und Versklavung breiter Schichten der Bevölkerung kennen wir nicht aus unserer Lebenswelt. Das bringt zwei Folgen mit sich:
Zum einen fehlt uns unmittelbar erfahrene Versklavung von Menschen als drängendes und als Motivation für soziales und gesellschaftsveränderndes Handeln. Zum anderen müssten wir, wenn wir uns auf diese Frage einlassen, realisieren, dass unsere Wohlstandsgesellschaft zumindest teilweise auf der Ausbeutung vieler Menschen in anderen Erdteilen beruht. Die überhebliche Souveränität, mit der wir uns heutzutage gerne über die biblischen Texte stellen und ihren Inhalten moralische Zensuren erteilen, tut ihnen zweifelsfrei Unrecht. Die kritische Rückfrage muss erlaubt sein: Wie würde unser Urteil ausfallen, wenn wir nicht gut situierte Westeuropäer wären, die Krieg nur noch aus dem Fernsehen kennen und deren Alltag durch keinerlei Kriege oder kriegerische Konflikte berührt ist? Was wäre, wenn wir z.B. Menschen in einem Land wären, die vom Regime seit Jahren mit Krieg und Hunger überzogen werden? Welche Texte würden wir schreiben? Wie würden wir handeln?
Zum Abschluss aber eben noch diese eine wichtige Anmerkung: Auch wenn dieser Antwortvorschlag zwar die Richtung andeutet, in der die Antwort auf die “Gott-und-Gewalt”-Frage liegen kann, sollte weiterhin klar sein, dass eine Antwort viel viel mehr Worte braucht, um wirklich erschöpfend zu sein. Wer sich also wirklich ernsthaft mit dieser Frage beschäftigen will, kommt leider nicht darum herum, sich intensiver mit der Materie auseinandersetzen, z.B in Form von Sekundärliteratur. Das sollte auch nicht weiter verwundern, immerhin ist dieser Diskurs keiner, den man “so mal eben” in einer kurzen Blogantwort vollständig erklärt. Deshalb auch die Buchempfehlungen. Und Kriegers “Gewalt in der Bibel. Eine Überprüfung unseres Gottesbildes” ist mit etwa 100 Seiten wahrlich schnell zu lesen.
Zur Frage der Sinflut vgl. übrigens #24: „Ist Gott nicht irgendwie ungerecht, wenn er über die ganze Erde eine riesige Sinflut gesandt hat und dabei fast alle Menschen starben?“
Sie sind auf meine Frage garnicht eingegangen.Mit gesunder skepsis Bücher die Bücher erklären sollen. und Analogien kann ich leider nicht viel anfangen.
Lieber Martin, danke für Ihren Kommentar. Da haben Sie ehrlich gesagt sogar Recht, meine Antwort ist letztendlich wohl wirklich leider etwas zu allgemein ausgefallen. Ich habe sie nun um einen konkreteren „Antwortvorschlag“ ergänzt.