43: Das woran man glaubt, hängt meistens von seinem Umfeld und da, wo man aufgewachsen ist, zusammen. Wärst du in Indien geboren, wärst du wohl Buddhist geworden, in der Türkei Moslem usw. Jetzt frage ich mich: Was ist das Wahre? Hängt Himmel und Hölle davon ab, an welchen Baum man gepinkelt hat? Kann der Atheist etwas gegen seine Meinung? Solltest du nicht den Koran lesen, weil es ja angeblich das letzte Buch „unverfälscht“ vom Erzengel Gabriel überbracht wurde? Wir bewegen uns alle wohl auf unsicherem Pfaden.
Danke für diesen sehr guten Kommentar, den ich sogar ergänzen würde: Wenn wir davon ausgehen, dass Weltanschauungen sozial konstruiert sind, dann trifft das natürlich auch auf die eigene und ganz persönliche Weltsicht zu. Ein Beispiel: Die meisten Atheisten, die ich kenne, denken so, wie sie denken, weil ihr soziales Umfeld (Eltern, Freunde, Kommilitonen, Arbeitskollegen etc.) mehrheitlich atheistisch ist. Wer also sagt, dass Weltbilder gesellschaftlich konstruiert sind, muss so ehrlich sein und zugeben, dass dann auch das eigene Weltbild sozial konstruiert ist. Vor diesem Hintergrund ist es also ganz richtig zu sagen:
„Wir bewegen uns alle wohl auf unsicherem Pfaden.“
Das kann aus meiner Sicht aber kein Standpunkt sein, mit dem man sich zufrieden geben und abfinden sollte. Warum? Weil ich denke, dass uns unser Leben viel zu wertvoll und viel zu kostbar sein sollte, als dass wir es mit einer fundamentalen Unsicherheit verleben. Ich denke vielmehr, dass wir uns mit nichts weniger zufrieden geben sollten als mit einer Lebenssicht, die uns wirklich überzeugt und zufrieden stellt. Schließlich geht es um nichts Geringeres, als das eigene Leben. Da sollte man die Flinte nicht vorschnell ins Korn werfen.
Wer nicht mit dem grundlegenden Gefühl von Unsicherheit, ob der eingeschlagene Lebenspfad nicht vielleicht doch der falsche sein könnte, herumlaufen möchte, stößt heutzutage auf zwei Lösungsansätze. Manche Menschen sagen:
Es gibt auch gar nicht „die eine Wahrheit“, die mich zufrieden stellen könnte.
Sie sehen das Problem dieses Ansatzes aber sicherlich auch: Die Ansicht, dass es keine Wahrheit gibt, ist an sich ja auch eine Aussage, die „die eine Wahrheit“ vertritt. In diesem Fall lautet diese: Wahr ist, dass es keine Wahrheit gibt. Das ist ein absoluter Wahrheitsanspruch, der andere Standpunkt verneint, die ihm nicht entsprechen. Aber das ist noch nicht einmal das eigentliche Problem dieses Ansatzes: Viel schwerwiegender ist, dass der Satz „Es gibt keine Wahrheit“ ein Widerspruch in sich ist. Denn die Aussage, dass es „das Wahre“ gar nicht gibt, beansprucht ja selbst, das Wahre zu sein. Aber wenn nichts wahr ist, dann ist auch der Standpunkt, dass nichts wahr ist, nicht wahr. Das ist ein Widerspruch in sich und eine gedankliche Sackgasse. Wir sehen also, dass es „die eine Wahrheit“ zwangsläufig geben muss, alleine schon aus rein logischen Gründen. Einige Menschen sagen nun:
Die „eine Wahrheit“ ist, dass alle irgendwie Recht haben.
Da diese Aussage kein Widerspruch in sich ist, sollte man sie durchaus ernst nehmen. Sie besagt ja, dass nur diejenigen von uns richtig liegen, die sagen „Alle Religionen haben Recht“ und alle, die nicht so denken, falsch liegen. Diesen Standpunkt darf man natürlich haben; er zeigt meiner Ansicht nach aber recht deutlich, dass sich hier jemand nur eher oberflächlich mit dem Thema „Weltreligionen“ auseinandergesetzt hat. Jeder Theologiestudent lernt im ersten Semester „Religionswissenschaft“, das es wesentliche und unüberbrückbare Differenzen zwischen den Religionen gibt – keine Kleinigkeiten, sondern wirklich fundamentale Unterschiede. Nur mal ein Beispiel von vielen: Für Buddhisten gibt es z.B. gar keinen Gott, für Muslime dagegen schon.
Das ist nur mal ein Widerspruch von vielen; beides kann nun eben nicht gleichzeitig wahr sein. Nein, wer die verschiedenen Religionen ernst nimmt und ihre zentralen Glaubenskerne in Ruhe studiert, wird rasch merken, dass sie sich gerade in ihren zentralen Aussagen grundlegend widersprechen. Wer trotzdem darauf besteht, dass „Alle irgendwie Recht haben“, muss sich daher den Vorwurf gefallen lassen, seinen gesunden Menschenverstand auf ‚Standby‘ geschaltet zu haben.
Die beiden Alternativen zur „einen Wahrheit“ können also nicht wirklich überzeugen. Muss es dann also bei der trostlosen Erkenntnis bleiben, dass „wir uns alle wohl auf unsicheren Pfaden bewegen?“ Ich denke nicht – gerade weil es logisch gar nicht anders geht, als dass es „die eine Wahrheit“ wirklich gibt und ich darüber hinaus denke, dass es möglich ist, sie zu finden. Von daher passt die eingangs gestellte Frage: „Was ist das Wahre?“ Sicher. hier stehen nun viele Standpunkte zur Auswahl: der agnostische, der atheistische, der astrologische, der buddhistische, der christliche, der hinduistische, der muslimische etc. Ich persönlich fände es nun aber zutiefst falsch zu sagen: „Mein Standpunkt ist der richtige, weil das soziale Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, auch so denkt.“
Natürlich kann man keinen Menschen für den sozialen Kontext verantwortlich machen, in den er hineingeboren wurde. Wer z.B. in Greifswald aufgewachsen ist, wird sicherlich atheistisch geprägt sein. Weil er mit dem Thema „Gott & Glaube“ niemals wirklich in Berührung kam. Das darf man natürlich nicht kritisieren. Kritisieren darf man eine Person meiner Ansicht nur dann, wenn sie davon ausgeht, dass ihr atheistisches Weltbild deshalb wahr ist, weil das soziale Umfeld, in dem sie aufgewachsen ist, auch so denkt. Dieselbe berechtigte Kritik müssen sich natürlich auch die gefallen lassen, die dieses Argument für die Glaubwürdigkeit ihres christlichen, muslimischen, buddhistischen Glaubens etc. bringen.
Kritik muss sich auch der gefallen lassen, der zwar erkannt hat, dass das eigene Weltbild nicht deshalb stimmen muss, weil man damit groß wurde, trotzdem aber nicht prüft, was das Wahre sein könnte. Oder sich seine eigene subjektive Privatidee davon erstellt, was die Welt im Innersten zusammenhält. Es bleibt also die Frage: Wo fängt man mit seiner Suche nach Gott bzw. Wahrheit an? Ich denke, dass diese Entscheidung am besten auf rationalen und objektiven Gründen basieren sollte. Aber gibt es die überhaupt? Kommen wir zum christlichen Glauben, werden uns solche guten und rationalen Gründe zumindest angeboten. Da ich diese schon einmal in #40 aufgeführt habe, verweise ich an dieser Stelle nur einmal darauf.
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