Würden Sie sich gegen Gott entscheiden, um bei Ihrer Familie zu bleiben (wenn Ihre Familie nicht gläubig ist)?
Danke für die gute Frage erst einmal. Ich gehe nun einmal davon aus, dass Sie sich in Ihrer Frage auf den „jenseitigen Aufenthaltsort“ beziehen; falls nicht, stellen Sie es gerne noch einmal richtig. Sofern meine Annahme aber stimmt, würde ich Folgendes antworten:
Zunächst kann ich die Frage gut nachvollziehen, gerade wenn Sie sich derzeit in einer harmonischen und liebevollen Familiengemeinschaft geborgen fühlen. Von daher finde ich es ganz berechtigt zu fragen: Wäre es nicht wünschenswert, mit seiner Familie sozusagen durch „dick & dünn“ zu gehen, selbst wenn dieses „dick & dünn“ die Hölle ist.
An dieser Stelle brauchen wir nun einen kurzen Exkurs, denn Christen sind sich ja (bis heute übrigens) nicht darüber einig, wie die Hölle konkret zu verstehen ist. Es gibt auf der einen Seite das Verständnis der Hölle als ein Ort, an dem ewige psychische und/oder physische Qualen herrschen. Dieser Standpunkt ist freilich die Mehrheitsmeinung in der christlichen Szene.
Aber das ist ja beileibe nicht das einzige biblisch gut begründbare Höllenverständnis. Selbst ein John Stott, immerhin einer der einflussreichsten Theologen des letzten Jahrhunderts, ist fest davon überzeugt, dass die, die nach ihrem Tod nicht in den Himmel kommen, ausgelöscht werden – diese Auslöschung (= Annihilation) sei für sie die „ewige Hölle“. Und wenngleich diese Ansicht die Minderheitsmeinung darstellt, so ist sie dennoch möglich bzw. nicht von der Hand zu weisen.
Sie sehen: Ihre Frage ist bei näherem Hinschauen gar nicht so einfach. Und sie stellt sich sogar gar nicht, wenn ein John Stott Recht behält. Sie stellt sich aber natürlich, wenn das Szenario stimmt, von dem die Mehrheit ausgeht (und von dem wahrscheinlich auch Sie gerade ausgehen). Dann gilt es meiner Ansicht nach aber Folgendes zu bedenken:
Die Hölle ist ja als ein Ort definiert, an dem Gott nicht ist; in der Hölle ist man sozusagen „Gott-los“. Und das darf man wörtlich verstehen, das heißt: Weil Gott (u.a.) die Liebe ist, ist die Hölle ein Ort, an dem keinerlei Liebevolles existiert – nicht mal das kleinste Fünkchen. Auch Wahrheit ist in der Hölle etwas vollkommen Unbekanntes. Und freilich existieren auch viele andere Dinge nicht, ausgelöst eben durch den „Wegfall Gottes“. In diesem Zusammenhang kann ich Ihnen nur das berühmte Buch von C.S. Lewis „Die große Scheidung“ ans Herz legen, das dieses Szenario gut illustriert.
Und nun kommt eben der springende Punkt: Die harmonische und liebevolle Familiengemeinschaft, in der Sie derzeit (hoffentlich) leben, sie kann es per Definition in der Hölle (wie sie im Rahmen der Mehrheitsmeinung verstanden wird) nicht geben. Ihre Eltern und Geschwister werden zu Ihnen keine liebevolle Beziehung mehr haben – und genausowenig Sie zu ihnen. In einer „höllischen Gemeinschaft“ werden auch Dinge wie Ehrlichkeit oder Wahrheit keinen Platz mehr haben. Im Gegenteil.
Vor diesem Hintergrund würde ich also Ihre Ausgangsfrage klar mit „Nein!“ beantworten. Und ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen: Gerade mit dem Gedanken an dieses Höllenszenario würde ich mich sogar bewusst für Gott/Jesus entscheiden, um Licht in meiner Familie zu sein, für sie zu beten, dass sie Jesus kennen lernt.
„Es gibt auf der einen Seite das Verständnis der Hölle als ein Ort, an dem ewige psychische und/oder physische Qualen herrschen. Dieser Standpunkt ist freilich die Mehrheitsmeinung in der christlichen Szene.“
Ein Gott, der einen Menschen, der sich in seiner Lebenszeit schwer verfehlt hat „ewig“ bestraft, kann mir gestohlen bleiben. Er wäre dann grausamer als wir Menschen, die einen Verbrecher nur für eine bestimmte Zeit bestrafen und erst nur dann, wenn die Tat nicht schon verjährt ist.
Die „Auslöschung“ ist eine Option, die ich nachvollziehen kann. Aber ich glaube an einen Gott, der letztendlich allen vergibt und alle annimmt. Auch Atheisten, Triebtäter und Terroristen.
Hallo Hans,
danke für Ihren Kommentar. An solch einen Gott darf man natürlich glauben, die Frage ist ja nur: Auf welcher Grundlage basiert dieser Gedanke? Ist hier, bei allem Respekt, nur der Wunsch Vater des Gedankens oder gibt es es eine handfestere Basis für diesen Standpunkt? Wünschen kann man sich ja bekanntlich viel – auch ich würde so einen Gott bevorzugen, aber das spielt ja keinerlei Rolle, was ich gerne hätte…
Herzliche Grüße
Stephan Lange
Lieber Herr Lange
Sie sind aber schnell. Danke!
Meine Wünsche bezüglich Himmel und Hölle spielen keine Rolle. Aber eine „handfeste Basis“ für meinen Standpunkt habe ich schon: meine Überzeugung. Nehmen wir mal an, ein brutaler Mann hat meine Frau und meine Tochter vergewaltigt und anschliessend getötet. Ich will, dass dieser Mann hart bestraft wird und ich werde ihn vermutlich auch hassen. Aber nachdem viele Jahre übers Land gezogen sind, wird mein Hass allmählich nachlassen. Und wenn ich dann noch wüsste, dass der Mann nach all den Jahren im Gefängnis gebrochen ist oder langsam dement wird, dann würde ich den Richter bitten: „Lasst ihn frei. Genug ist genug!“
Sollte Gott weniger grosszügig sein als ich?
Mit liebem Gruss
Hans
Lieber Hans,
danke erneut für den guten Beitrag, den ich gut nachvollziehen kann. Ich befürchte nur, dass in ihm (bei allem Respekt) zu viele Probleme stecken. Ihr Beitrag ist nun recht idealistisch und natürlich nicht der einzige mögliche Fall. Was ist z.B. mit den Leuten, die sogar noch auf ihrem Sterbebett sagen: „Jesus kann mir gestohlen bleiben! Ich will nichts mit Gott zu tun haben!“ Soll Gott solche Leute – gegen ihren Willen – auch zu sich holen? Christen würden sagen: „Nein, so ist Gott nicht. Das ist nicht bibel-kompatibel.“
Das eigentliche Problem liegt aber viel grundlegender, ich verweise deshalb auf den angeführten Blogbeitrag hier, da die Ausführungen dazu den Rahmen dieses Kommentarfensters leider überschreiten –> http://www.mitdenkend.de/kommen-auch-gute-menschen-in-den-himmel/
Haken Sie gerne dort (oder weiterhin hier) kritisch nach, danke dafür!
Herzliche Grüße
Stephan Lange