Müssten Sie als Christ nicht davon ausgehen, dass die Welt in 6 Tagen erschaffen wurde?
Danke für die nachvollziehbare Frage. Die Bibel ist zwar eindeutig darin, dass Gott diese Welt erschaffen hat, dass er mit dieser Welt etwas vor hat, dass er auf diese Welt einwirkt; nicht nur am Anfang, sondern die ganze Zeit. Darin sind sich Christen einig. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir darauf festgelegt sind, dass sich das in einer ganz bestimmten Weise ereignet hat.
Diese Frage wird in der „christlichen Szene“ ohnehin he
iß diskutiert. Es wäre nun aber ein Trugschluss anzunehmen, dass sich diese Diskussion rein zwischen den Vertretern der „6-Tage-Schöpfung“ und denen der „theistischen Evolution“ abspielt. Das sind sicherlich die medial prominentesten Standpunkte, beileibe aber nicht die einzigen. Beide Sichtweisen bilden folglich keine Gegenpole, sondern die Enden eines Kontinuums. Die Humanbiologin Eugenie Scott gibt hierzu in ihrem Buch „Evolution vs. Creationism: An Introduction“ (2009) einen Überblick:
Vor dem Hintergrund Ihrer Fragestellung sind für uns nun vornehmlich nur die Standpunkte von Interesse, in denen eine Entwicklung skizziert wird. Das disqualifiziert also die ersten beiden Sichtweise der „Special Creation“, in denen eher eine statische Beschreibung der Erde stattfindet.
Während im Jahr 2001 immerhin noch 3.500 Leute unter Berufung davon ausgingen, dass die Erde flach und von einer festen Kuppel oder Firmament bedeckt sei, betonen Geozentristen, dass die Sonne nicht im Mittelpunkt des Sonnensystems steht und die Erde sich nicht bewegt. Beide Male wird sich auf eine wortwörtliche Interpretation der Bibel berufen, abweichenden Ansichten wird ein liberales Schriftverständnis attestiert.
Spannender für uns sind nun eher die beiden kreationistischen Standpunkte: Auf der einen Seite finden wir den „Kurzzeit-Kreationismus“ auf der anderen den so genannten „Langzeit-Kreationismus“. Vertreter beider Seiten berufen sich auf ebenfalls auf eine wortwörtliche Interpretation der Bibel – der zentrale Unterschied liegt jedoch in der möglichen Übersetzung bestimmter Wörter im hebräischen Urtext.
Befürworter eines „Alte-Erde-Kreationismus“ argumentieren u.a. mit der möglichen Übersetzung des hebräischen „hajtah“ mit „wurde“ statt – wie es „Junge-Erde-Kreationisten übersetzen – mit „war„, womit die Übersetzung dann lauten würde: „Die Erde wurde (hajtah) wüst und leer (tohu wa bohu)“. Vor dem Hintergrund solcher möglichen Übersetzungen folgern sie die, dass in der Schöpfungsgeschichte zwischen 1. Mose 1,1 und 1,2 eine zeitliche Lücke gesehen werden muss. (= Gap Creationism)
Andere Vertreter eines „Alte-Erde-Kreationismus“ sagen hingegen, dass die sechs Tage der biblischen Schöpfungsgeschichte nicht vierundzwanzigstündige Tage darstellen, sondern sehr viel längere Zeiträume – wie Millionen von Jahren. Die Vertreter dieser Richtung berufen sich auf das Wort yôm in der hebräischen Bibel, das ihrer Ansicht nach im Kontext der Genesis auch mit der Bedeutung „Zeitalter“ übersetzt werden kann (= Day-Age Creationism) und eben nicht mit „Tage“, wie es „Junge-Erde-Kreationisten“ tun, die so auf eien 6-Tage bzw. 144-Stunden-Schöpfung und ein Erdalter von 6.000 bis 10.000 Jahre kommen.
Nun verstehen sich der „Gap“ und „Day-Age Creationism“ nicht als Entwicklungstheorien, sondern eher als hermeneutische Grundlage, auf denen solche Theorien aufbauen können. Die federführende Theorie – und der Gegenpol zum „Young Earth Creationismus“ – stellt hierbei der so genannte „Progressive Kreationismus“ (PK) dar.
Ein „PK“ erkennt zunächst einmal die wissenschaftliche Ansicht, dass das Universum 13,7 Milliarden Jahre und die Erde 4,6 Milliarden Jahre alt ist, uneingeschränkt an. Der Schöpfungsbericht wird hier als historische Darstellung verstanden, logischerweise aber nicht im Sinne einer „144-Stunden“, sondern im Sinne einer „Gab“ oder „Day-Age“-Interpretation. Die einzelnen Schöpfungstage werden also so interpretiert, dass sie für Millionen von Jahren stehen können.
Progressive Kreationisten benötigen – im Gegensatz zu „theistischen Evolutionisten“ – jedoch keinen Rückgriff auf die Evolutionstheorie. Sie gehen vielmehr davon aus, dass Gott jede Spezies als eine einzigartige Schöpfung erschaffen hat, die sich nicht aus einer vorherigen Arten weiterentwickelt hat. Während Entwicklungen auf makroevolutionärer Ebene also ausgeschlossen werden, werden Veränderungen im mikrovolutionären Bereich Ebene (Mutationen, Rekombinationen und Selektionsprozesse) akzeptiert. Darüber hinaus gehen Befürworter eines „PK“ davon, dass der (erste) Mensch Adam vor rund 50.000 Jahren von Gott geschaffen wurde. Sein Fall wie auch die Sinflut werden als historische bzw. wörtlich zu verstehende Ereignis betrachtet.
Die folgende Übersicht zeigt eine chronologische Abbildung der PK-Sicht auf Genesis 1 dar (vgl. reasons.org):
Vor dem Hintergrund des Gesagten bin ich recht zuversichtlich, dass selbst Christen, die die Bibel wörtlich nehmen, nicht auf eine 6-Tage-Schöpfung festgelegt sind.
Inwiefern führt es zu dem Schluss, dass der Schöpfungsbericht nicht historisch sein will, wenn er auf Vorstellungen seiner Zeit antworten will? Wäre nicht die beste Antwort auf falsche Vorstellung der Weltentstehung davon zu erzählen, wie es wirklich war? Und selbst wenn dies in literarischer Form geschieht – also eine Auswahl der berichteten Daten und kunstvolle Präsentation derselben erfolgt – ist dies doch kein Grund an der Wahrheit bzw. historischen Aussageabsicht zu zweifeln. Oder?
Hallo Peter,
danke für die gute Nachfrage. Die falschen Vorstellungen, die Gen 1-2 korrigieren will, sind ja auf einer anderen Ebene als die historisch-naturwissenschaftliche. Es geht – wie gesagt – um Fragen wie: Ist die Welt Zufall / Unfall / gewollt? Ist der Mensch Sklave oder Partner Gottes? usw.
Gerade diese Tatsache – dass die Aussageabsicht beider Textarten, der biblischen wie der außerbiblischen – auf dieser allgemeinen (theologisch-anthropologischen) Ebene liegt, ergibt sich ja aus dem Vergleich beider Texte.