Wenn es Gott gibt, dann könnte man leider den Eindruck bekommen, er ist bloß ein Zuschauer und wir sein Unterhaltungsprogramm…anders kann man sich das Ganze nicht erklären. Worauf und wozu wartet er seit (aus christlicher Sicht) 2000 Jahren? Jesus hat sich bzgl. des nahen Endes der Welt geirrt. Zudem ist er, wie er selbst sagt, nur zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel gekommen (der Missionsbefehl soll ja angeblich eine viel später datierte Ergänzung sein). Ein Punkt von vielen, der die ganze Sache mit dem Glauben nicht unbedingt leichter macht…
Danke erst einmal für diese guten und nachvollziehbaren Fragen. Fangen wir bei der ersten an: Worauf und wozu wartet Gott so lange? Dass diese Frage berechtigt ist, sehen wir alleine schon daran, dass sie selbst in den neutestamentlichen Briefen aufgegriffen wird. Ein Blick in den zweiten Petrusbrief (Kap. 3, V. 9) verweist auf die Antwort:
„Es ist also keineswegs so, dass der Herr die Erfüllung seiner Zusage hinauszögert, wie einige denken. Was sie für ein Hinauszögern halten, ist in Wirklichkeit ein Ausdruck seiner Geduld mit euch. Denn er möchte nicht, dass irgendjemand verloren geht; er möchte vielmehr, dass alle zu ihm umkehren.“
Petrus schreibt hier sozusagen aus der Sicht Gottes und kennt Gott als den Herrn der Geschichte, der natürlich jederzeit Schluss machen könnte. Ohne Probleme. Aber auch als einen, der es noch nicht tut, weil er eben Geduld hat. Und weil er sich danach sehnt, dass Menschen eingeladen werden und freiwillig zu ihm umkehren. Dieser Gedanke ist vielleicht ungewohnt. Aber er trifft ja genau das, was Christen sagen: Gott ist ein werbender und liebender Gott, der nichts mehr möchte, als dass Menschen, die er geschaffen hat, in eine vertrauensvolle Gemeinschaft mit ihm kommen.
Ich wäre daher prinzipiell eher behutsam mit absoluten Aussagen wie „Anders kann man es sich nicht erklären.“ Denn hiermit erhebt man ja einen gewaltigen Anspruch, der da lautet: „Ich kenne alle Erklärungen zum Thema.“ Ich trete nun sicherlich niemandem zu nahe, wenn ich ganz dreist behaupte, dass das nur die wenigsten von sich sagen können. Ich nehme mich da nicht aus. Aber genau deshalb gehe ich auch vorsichtig mit definitiven Aussagen um.
Gleiches gilt für eine Aussage wie: „Jesus hat sich bezüglich des nahen Endes der Welt geirrt.“ Sicherlich, Jesus sagte Sätze wie: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe.“ oder „Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen!“ Nun will ich gar nicht sagen, dass man nicht so denken darf, wie Sie das tun. Meine erste Frage wäre aber, warum Sie davon ausgehen, dass mit „nahe“ auf jeden Fall eine zeitliche Nähe gemeint ist? Meine zweite Frage wäre, warum Sie davon ausgehen, dass mit dem Kommen des „Reich Gottes“ bzw. „des Reichs der Himmel“ auf jeden Fall auf das Jüngste Gericht angespielt wird? Beide (vermeintlichen) Zusammenhänge lassen sich nun nicht wirklich gut begründen.
Es bleibt also: Ich wäre vorsichtig mit definitiven und absoluten Aussagen. Das heißt natürlich nicht, dass man sie niemals treffen sollte – allerdings erst, so meine Meinung, nachdem man sich mehrere Standpunkte zur Thematik angehört und gegeneinander abgewägt hat.
Und es stimmt: Jesus sah sein Hauptaufgabengebiet vornehmlich bei den Juden. Daraus lässt sich ja aber nicht ableiten, dass ihm alle anderen Völker egal waren, sondern nur, dass das Volk Israel als erstes die Botschaft Jesu hörte. Darüber hinaus wäre es auch schwer zu erklären, warum Jesus Sätze wie die folgenden äußerte:
Denn bevor das Ende kommt, muss das Evangelium allen Völkern verkündet werden. (Markus 13,10)
Man wird euch um meinetwillen vor Machthaber und Könige führen, und ihr sollt vor ihnen und vor allen Völkern meine Zeugen sein“. (Matthäus 10,18)
Alle Völker werden vor ihm [Gott] versammelt werden, und er wird die Menschen in zwei Gruppen teilen, so wie der Hirte die Schafe und die Ziegen voneinander trennt. (Matthäus 25,32)
Ich bin der gute Hirte. Ich kenne meine Schafe, und meine Schafe [die Israeliten] kennen mich. … Ich habe auch noch Schafe, die nicht aus diesem Stall sind. Auch sie muss ich herführen; sie werden auf meine Stimme hören, und alle werden eine Herde unter einem Hirten sein. (Johannes 10,14ff.)
Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, um sie zu verurteilen, sondern um sie durch ihn zu retten. (Johannes 3,17)
Ich sage euch: Am Tag des Gerichts werden die Menschen Rechenschaft ablegen müssen über jedes unnütze Wort, das sie geredet haben. (Matthäus 12,36)
Wir sehen: Selbst wenn wir die „Missionsbefehle“ zu Ende der Evangelien ausblenden, lässt der Gesamtkontext der Evangelien nicht wirklich die Annahme zu, dass die Botschaft Jesu nur für das Volk Israel bestimmt war – Jesu Interesse galt und gilt letztlich allen Völkern bzw. Menschen.
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